„Nett-Werke“ auf Facebook: Im Netz sollen Menschen nett sein

Köln (dpa) - „Nett-Werk“ ist kein Tippfehler. In diesem Internet-Netzwerk ist tatsächlich „Nettsein“ das oberste Gebot. Wer sich nicht daran hält, der fliegt einfach raus.

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Nettsein im Netz - eine Utopie? Ein virtueller Ort, an dem nicht nur die Taten der User gut sind, sondern auch die Worte bei der Kommunikation stimmen - davon träumt Philipp Daub. Ist das in der Netz-Gesellschaft überhaupt möglich? „Die Menschen sind wahnsinnig empathisch, aber sie sind genauso schnell dabei, sich zu steinigen“, sagt der 47-jährige Kölner.

Daub hat die „Nett-Werke“ auf Facebook gegründet. In Köln bringt das Nett-Werk Köln allein mehr als 120 000 Menschen zusammen. Die Gruppen sollen das Nettsein im Netz kultivieren und die Menschen im World Wide Web wie in einem Dorf zusammenrücken. Dort greift im echten Leben schließlich auch jeder jedem mal unter die Arme. Es erinnert an lokale Nachbarschaftshilfe - in digitaler Form eben.

Regel Nummer 1: Eine nette Ansprache. „Hallo liebe Nettis“, beginnen die meisten Posts. Die Mitglieder bitten im „Nett-Werk Köln“ um Hilfe, wollen Dinge verschenken, verkaufen, bitten um gute Tipps oder bieten Hilfe an.

„Hallo liebe Netties, wie sind eure Erfahrungen mit dem Sea Life in Königswinter? Danke für eure Antworten“, fragt ein Nutzer. „Hi, dieses Jahr starte ich wieder meine „Netti-Kette“ Aktion. Ich helfe einer Person kostenlos und ohne Hintergedanken!!! Einziger Wunsch meinerseits, es wäre schön, wenn die Person es an jemand anderes weitergibt“, bietet ein Netti an.

Für Philipp Daub sind diese Posts Musik in den Ohren. Der Grundgedanke der „Nett-Werke“ ist die „Bereitschaft, höflich, freundlich, respektvoll und empathisch miteinander umzugehen auch im Internet aufrecht zu erhalten“, sagt der 47-Jährige. „Gerade im Netz geht es ja richtig heftig zu.“

Philipp Daub ist immer wieder erschrocken über den Umgang der Menschen miteinander im Netz. „Würden die sich auch im wahren Leben so verhalten, wäre das hier wie im Mittelalter“, sagt Daub und meint böse, hetzende und beleidigende Kommentare. „Für manche ist das normal, jemandem zu sagen, dass er gelyncht wird.“ Solche Beiträge werden ihm mit einem Warndreieck gemeldet. Dann greift das Nett-Werk-Team ein, mahnt die Pöbelnden und Hetzenden, schmeißt manche raus.

Vor allem in den vergangenen drei Monaten - in denen die Nachrichten von Gewalt, Krieg und Konflikt geprägt waren - beobachtet er zunehmende Aggressivität in der Community. „Man merkt, dass die Leute unter Spannung stehen“, sagt er. Oft sieht Daub, wie sorgsame und hilfsbereite Nutzer sekundenschnell zu Netz-Hyänen werden können, die verbal über andere herfallen.

Aber warum verhalten sich die Menschen im Netz anders als im richtigen Leben? „Die digitale Welt ist für viele Menschen offensichtlich abstrakt. Das heißt, das Gegenüber oder das diskutierte Thema wird entmenschlicht, und dadurch fällt es leichter, gemein oder agressiv zu sein“, meint Oliver Tabino vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung. Übliche soziale Filter, die im normalen Leben funktionieren, werden laut Tabino in der digitalen Welt oft außer Kraft gesetzt. In einem digitalen Schlagabtausch werde das Gegenüber nicht als Mensch wahrgenommen, sondern nur als Träger einer bestimmten Meinung.

Die Nettis begannen 2009 mit 50 Leuten. „Kommt rein, da ist es nett“, bewarb Daub die Gruppe in seinem Bekanntenkreis. Heute bekommt er Hilfe bei der Verwaltung von tausenden Posts täglich. Seit 2013 gibt es die Nett-Community auch in Berlin, München und Hamburg. In vielen NRW-Städten existiert die Gruppe. Düsseldorf und Bonn sind besonders groß. Die Gründung hat Daub zum Teil an Bekannte oder Interessierte abgegeben. Thorsten Brütsch etwa hat ein Auge auf das „Nett-Werk Düsseldorf“.

„Am Anfang war es sehr gesittet, mit zunehmender Mitgliederzahl hat sich das Verhalten verändert“, sagt er. Er weist die Menschen auf ihr Fehlverhalten hin, viele sehen es dann schnell ein. Härtefälle fliegen raus. An Pfingsten 2014 wurde Düsseldorf hart von Sturm „Ela“ getroffen. Die Menschen haben Informationen geteilt und sich geholfen. In nettem Ton. Welche Bahn fährt? Wie sehen die Straßen aus? „Daran sieht man, dass es funktioniert“, sagt Brütsch.