Netzaktivisten der Re:publica zwischen Utopie und Alltag

Berlin (dpa) - Die Botschaft lautet: „Eine bessere Welt ist machbar“. Überzeugt von der Veränderungskraft der Kommunikation im Netz sind am Dienstag mehr als 6000 Menschen zur Re:publica (5. bis 7. Mai) zusammengekommen.

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In der überfüllten Halle auf dem einstigen Gelände des Dresdner Bahnhofs lauschen sie dem US-Intellektuellen Ethan Zuckerman und seinem Aufruf, ihr Misstrauen gegenüber dem herrschenden System in eine Kraft für einen grundlegenden Systemwandel zu verwandeln.

„Das System ist kaputt“, sagt der Gast vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Es ist die Herausforderung unserer Generation, eine bessere Welt zu errichten.“ Bisher sei es nicht gelungen, im Internet neue Wege politischer Gestaltung zu etablieren - das sei eine der größten Enttäuschungen der vergangenen 20 Jahre. „Es ist aber unsere Aufgabe, engagierte und skeptische Kritiker unserer Regierungen zu sein.“ Das beginne mit der Nutzung von Technologien für die anonyme und verschlüsselte Kommunikation, rät der 42 Jahre alte Mitgründer der internationalen Blogger-Plattform globalvoices.org. Nächster konsequenter Schritt sei die Mitwirkung an neuen sozialen Protestbewegungen.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) widerspricht im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur der Diagnose vom kaputten System. „Veränderungsfähigkeit ist in demokratischen Systemen immer vorhanden, die Prozesse müssen nur transparent sein.“

Impulse für Veränderung erhofft sich Re:publica-Mitveranstalter Markus Beckedahl von der aktuellen Debatte über Enthüllungen, „dass wahrscheinlich unsere eigenen Geheimdienste viel mehr mit der NSA zusammengearbeitet haben, als wir eigentlich wussten“. Jetzt dürfe man sich nicht darauf beschränken, Schuldige zu finden, mahnte der Blogger ( netzpolitik.org). „Wir brauchen einen Ausstieg aus der Totalüberwachung!“

Nach den großen Appellen steigt die Konferenz in die Arbeit am digitalen Alltag ein. Ministerin Hendricks stellt die Internet-Kampagne mit dem Hashtag (Stichwort) „ziek“ vor: „Zusammen ist es Klimaschutz.“ Aufklärung zur globalen Erwärmung ist gut und schön - aber „wie kommt man von der Information zur Aktion?“ fragt Laura Holzäpfel, Bloggerin bei reset.org. Die Ministerin antwortet: „Wir können nicht mehr als hoffen, dass der Funke überspringt.“ Sie ruft die Netzgemeinde dazu auf, den jetzt beginnenden Diskussionsprozess zur Pariser UN-Klimakonferenz vom 30. November bis 11. Dezember aktiv und kritisch zu begleiten.

Mehr Unterstützung will die global engagierte Szene für die vielen Menschen, „die aufgrund von Armut, Hunger und Krieg ein sicheres Leben in Europa suchen“, wie es der Berliner Blogger Johnny Haeussler gleich zu Beginn sagt. Allerdings gebe es schon eine Art Gewöhnung daran, „dass wir es an den Grenzen mit einer humanitären Katastrophe zu tun haben“, kritisiert der Hamburger Soziologe Vassilis Tsianos. Auf der Bühne berichtete der syrische Flüchtling Mohamad Al Ashrafani von seinen Erfahrungen. Auch wenn er sich gut aufgenommen fühle in Deutschland, gebe es viele Probleme. Seit acht Monaten warte er auf seine Anhörung.

Ist die Re:publica aktivistischer geworden? Der Netzaktivist Stephan Urbach sieht das nicht. „Wir leben noch in sehr bequemen Zeiten, wissen aber, dass sich das in zehn Jahren ändern kann.“ Appelle wie die von Zuckerman hätten kaum eine Wirkung - denn „wenn wir jetzt schon aufbegehren würden, wäre das mit den bequemen Zeiten noch schneller vorbei“.

So feiert sich die Netz-Szene in Berlin vor allem auch selbst. „Das ist hier eher ein Festival als eine Konferenz“, meint der Netzaktivist Raúl Krauthausen. „Die Re:publica ist eine der wenigen Veranstaltungen, bei der Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich dabei sein können, wo Inklusion bereits Wirklichkeit ist“.

Krauthausen hat bereits gezeigt, dass sich im Netz was erreichen lässt, mit einem kleinen Schritt zu einer besseren Welt: Mit der Web-Anwendung wheelmap.org können Rollstuhlfahrer in aller Welt überprüfen, welche Orte sie ohne Probleme erreichen können.