Netzneutralität: Der Streit in Europa und das Prinzip des Internets

Straßburg (dpa) - In den meisten Staaten der Europäischen Union gibt es bislang keine gesetzlichen Regelungen zur Netzneutralität, einem Grundprinzip des Internets. Im Europaparlament wurde nach einer langen Abstimmungsphase mit der Kommission beschlossen, dass die Netzanbieter im Prinzip keine bestimmten Dienste gegenüber anderen bevorzugen dürfen.

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Allerdings sind in dem Gesetz mehrere Hintertüren eingebaut, die Netzaktivisten auf die Barrikaden bringen.

Netzneutralität bedeutet, dass Internet-Anbieter alle Datenpakete gleichberechtigt durch ihre Leitungen schicken, egal woher sie stammen oder welchen Inhalt sie haben. Da die Datenmenge ständig wächst, steigt damit auch die Gefahr von Staus im Netz. Deshalb wurde diskutiert, ob in Sonderfällen nicht doch manche Internetdienste Vorfahrt bekommen sollten.

Niemand soll sich seine Vorfahrt im Internet erkaufen dürfen, legt die Verordnung fest. Allerdings wird in dem Papier der Begriff der „Spezialdienste“ eingeführt, der das Prinzip der Netzneutralität aushebeln könnte. Die Rede ist von Diensten wie der Telemedizin oder dem Fernsehen im Internet. Diese Dienste sollen andere Nutzungen nicht verdrängen und nur angeboten werden, wenn es genügend Kapazität gibt. Sie dürfen aber privilegiert behandelt werden. Die Ausnahme von der Regel soll also dafür sorgen, dass beim Video-Streaming das Bild nicht ruckelt oder bei einer Telemedizin-Anwendung das Bild während einer Operation nicht plötzlich unscharf wird - nur weil gerade nicht genügend Bandbreite zur Verfügung steht.

Kritiker fürchten, dass die Netzneutralität durch vage Formulierungen praktisch abgeschafft wird. Vor der Abstimmung hatten mehr als 30 führende Startups, Internetunternehmen und Investoren aus Europa und den USA Änderungen der Pläne gefordert. Auch Web-Erfinder Sir Tim Berners-Lee wandte sich gegen die Regelung. Die Kritiker befürchten, dass die Entwicklung innovativer Dienste behindert wird, wenn Internet-Provider bezahlpflichtige „Überholspuren“ für bestimmte Daten einrichten und andere Dienste ausbremsen dürfen. Pilar del Castillo von der spanischen konservativen Partei PP, Berichterstatterin im EU-Parlament, rechtfertigte die Ausnahmen mit dem Argument, dadurch würden innovative Dienste erst möglich.

Die meisten „Flatrates“ für einen Internet-Zugang sehen eine Drosselung der Geschwindigkeit ab einem bestimmten verbrauchten Volumen vor. Beim „Zero Rating“ bieten die Provider an, bestimmte Dienste aus der Volumen-Berechnung für eine Drosselung auszuklammern. So bietet die Deutsche Telekom schon heute einen Mobilfunktarif mit einer „Music Streaming Option“ an, bei dem die Songs von Spotify ohne Belastung des Datenvolumens aufs Smartphone kommen. Wer dagegen einen anderen Dienst wie Deezer, Napster, Juke oder Apple Music nutzt, muss sich die Streamingdaten auf sein Kontingent anrechnen lassen.

Ähnliche Deals bieten manche Internet-Provider den Kunden von Video-Streamingdiensten an. Im ersten Gesetzesentwurf war dieses „Zero Rating“ noch untersagt, im aktuellen Entwurf findet sich das Verbot nicht mehr. Kritiker meinen, dass mit dem „Zero Rating“ Strukturen geschaffen werden, die kleineren Firmen den Einstieg in einen Markt erschwert.

Wenn das Netz tatsächlich überlastet ist, dürfen die Provider ohnehin steuernd eingreifen und beispielsweise dafür sorgen, dass Notrufnummern noch erreichbar sind. Die Vorfahrt für bestimmte Dienste wird in der Verordnung allerdings schon dann erlaubt, wenn eine Netzüberlastung noch gar nicht eingetreten ist. Web-Erfinder Berners-Lee befürchtet, dass auf dieser Grundlage beispielsweise alle verschlüsselten Datenströme in eine Kategorie gepackt und und dann gedrosselt werden.