Online-Petitionen - Demokratischer Akt oder Klick-Tribunal?
Stuttgart (dpa) - Die Empörung ist oft nur einen Mausklick entfernt, eine Petition ist schnell gestartet. Im Netz werben Menschen mit unterschiedlichsten Anliegen um Unterstützer.
Das Internet beschleunigt die Debatten. Die einen protestieren gegen den Bildungsplan der Stuttgarter Landesregierung, andere wollen den Talkmaster Markus Lanz nicht mehr im Fernsehen sehen. Jeden Monat werden hunderte Petitionen auf verschiedenen Online-Plattformen ins Leben gerufen. Alle sammeln Unterschriften. Nicht mühselig auf der Straße, sondern bequem im Internet.
Mittlerweile nutzen manche die Aufmerksamkeit einer solchen Aktion für ihre eigenen Zwecke, räumt der Stuttgarter Netzaktivist Alvar Freude ein: „Wir haben zurzeit eine Inflation von Online-Petitionen, das wird schon auch zur Selbstdarstellung genutzt.“
Freude, der bereits 2002 eine Online-Unterschriftensammlung gestartet hat, schmunzelt über Kabarettist Dieter Nuhr und seinen Aufruf „Gegen digitales Mobbing, binäre Erregung und Onlinepetitionswahn“. Nuhr setzte seine Petition als humorige Antwort auf die Lanz-Debatte auf. Die Plattform openPetition fand das nicht lustig, erkannte eine Missachtung von Nutzungsbedingungen und löschte den Eintrag. Prompt startete Nuhr eine neue Initiative: „Für den Erhalt von Dieter Nuhrs Petition“.
Online-Petitionen sind auch ein Geschäft. Einnahmen gibt es unter anderem, wenn Nutzer eigene Initiativen bewerben wollen. Paula Hannemann, Leiterin der Online-Plattform Change.org in Deutschland, spricht von „Social Business“. Change.org beschäftigt 180 Mitarbeiter in aller Welt, Hannemann sagt, die Plattform arbeite kostendeckend. Monatlich werden in Deutschland bei change.org 390 neue Petitionen eingestellt, etwa viermal so viele wie ein Jahr zuvor. Weltweit sind es 25 000 pro Monat. Die Berlinerin sieht in Online-Petitionen „eine Machtverschiebung hin zu Bürgern, Zuschauern und Verbrauchern“, einen Gewinn für die Demokratie gerade in einer Zeit der großen Koalition.
Dass die Online-Petitionen jetzt selbst zum Thema geworden sind, findet Hannemann gut. Sie sieht darin einen Lernprozess. Andere kritisieren die schnellen Kampagnen per Mausklick. Ein Kommentator der „Stuttgarter Zeitung“ schrieb am Montag (27. Januar) unter der Überschrift „Klick-Tribunal“ von „Irrwegen im Netz“ - es werde Zeit, solche Foren angemessen kritisch zu betrachten.
In den Parlamenten haben Petitionen schon länger ihren festen Ort. Beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags sind 1,5 Millionen Nutzer registriert, nahezu 40 Prozent der Petitionen werden online eingereicht. Erreicht ein Anliegen mindestens 50 000 Unterstützer, wird der Petitionsausschuss des Bundestages sich aller Wahrscheinlichkeit nach damit beschäftigen.
Anders als bei den offenen Plattformen findet beim Bundestag auch eine gewisse Überprüfung der Identität statt: In Stichproben werden Nutzer angeschrieben. „Kommt die Post als unzustellbar zurück, dann wird das Benutzerkonto gelöscht“, erklärt ein Mitarbeiter im Sekretariat des Ausschusses. Noch in der ersten Jahreshälfte soll es möglich werden, sich mit dem elektronischen Personalausweis für die Online-Plattform des Petitionsausschusses anzumelden.
Auf den offenen Plattformen könne es schon mal vorkommen, dass einzelne Personen eine Initiative zehn oder hundert Mal unterstützen, sagt Software-Entwickler Alvar Freude. Die Möglichkeit zum Missbrauch gebe es aber auch bei Unterschriftenlisten auf der Straße. Freude, der in der vergangenen Legislaturperiode in der Enquete-Kommission des Bundestags zu Internet und digitaler Gesellschaft mitwirkte, rät zur Gelassenheit im Umgang mit Online-Petitionen: „Als Politiker sollte man das zur Kenntnis nehmen - aber man muss ja nicht etwas übernehmen, nur weil das 200 000 Leute unterzeichnet haben.“