Ein Spiel wie ein gutes Buch: „Firewatch“ im Test
Berlin (dpa/tmn) - Es ist der perfekte Job für Menschen, die eine Auszeit brauchen. Um verheerende Brände frühzeitig erkennen und bekämpfen zu können, gibt es in vielen US-Nationalparks Beobachtungsposten auf einsamen Türmen, irgendwo im Wald.
Wer dort arbeitet, verbringt Wochen und Monate fernab jeder Zivilisation, ein Auge immer auf den Horizont gerichtet. Wer bewirbt sich auf so einen Job? Und was macht er mit den Menschen, die ihn ausüben?
Das ist die ungewöhnliche Idee hinter dem Spiel „Firewatch“. Dessen Hauptfigur ist Henry, ein ganz normaler junger Mann, der auf der Flucht vor seinem komplizierten Eheleben einen Job als Brandhüter in den endlosen Wäldern des US-Bundesstaats Wyoming annimmt. Sein einziger Bezugspunkt zur Außenwelt ist der Funkkontakt mit Kollegin Delilah, mit der er schnell Freundschaft schließt. Doch gleichzeitig häufen sich rings um seinen Ausguckturm merkwürdige Ereignisse. Ist Henry in der Wildnis vielleicht doch nicht so allein, wie er denkt?
Mehr zu verraten, wäre im Fall von „Firewatch“ eine Todsünde. Schließlich besteht das Spiel nur aus seiner Geschichte. Das klingt nach wenig, reicht aber völlig aus. Denn die Story von „Firewatch“ ist gleichermaßen spannend und lustig, mit vielen Überraschungen und einem perfekt gewählten Schlusspunkt. Und mit sehr erwachsenen Themen wie Verantwortung und Schuld, Paranoia und Vertrauen.
Dass sich Spiele mit solch schwerer Kost beschäftigen, ist noch immer selten. Vergleichbares gab es in den vergangenen Jahren zum Beispiel im Familiendrama „Gone Home“, von dem sich „Firewatch“ auch sonst ein paar Tricks abschaut: Hier wie dort erlebt der Spieler das Geschehen komplett aus der Ich-Perspektive, hier wie dort verbringt er viel Zeit mit Herumlaufen und dem Betrachten der Umgebung, hier wie dort verraten die Details der Spielwelt viel über ihre Charaktere.
Die Umgebung ist hier jedoch kein Einfamilienhaus wie in „Gone Home“, sondern die weitläufige Wildnis eines US-Nationalparks. Die haben die Entwickler des kleinen Indie-Studios Campo Santo fantastisch zum Leben erweckt, in einem bunten und ausdrucksstarken Stil irgendwo zwischen Realismus und Comicgrafik, der immer wieder tolle Postkarten-Panoramen auf den Bildschirm zaubert.
Spielerisch gibt es in dieser Idylle kaum etwas zu tun. Jeden Tag schickt Delilah Henry mit ein paar Aufgaben in die Wildnis. Manchmal muss er ein paar übermütige Teenager zur Vernunft bringen, manchmal eine unterbrochene Telefonleitung reparieren. Rätsel löst der Spieler bei diesen Routinejobs aber nicht, für die meisten Arbeiten reicht ein simpler Knopfdruck. Die größte Herausforderung ist noch, mit Karte und Kompass den richtigen Weg zu finden.
Stattdessen besteht das Gameplay vor allem aus den langen Gesprächen zwischen Henry und Delilah. Die beiden reden nicht nur über ihren Job, sondern über Gott und die Welt, flirten, streiten und machen viele schlechte Witze. Wie Henry auf Delilah reagiert und was er dabei über sich verrät, darf der Spieler entscheiden - und damit ganz subtil auch den Verlauf der Geschichte beeinflussen.
Fantastisch gespielt werden Delilah und Henry von Cissy Jones und Rich Sommer („Mad Men“), auf Deutsch gibt es ihre Gespräch leider nicht zu hören. Deutsche Untertitel fehlen zum Start des Spiels ebenfalls, sind nach Angaben von Campo Santo aber in Entwicklung. Und auch sonst ist „Firewatch“ bei allen Qualitäten nicht frei von Enttäuschungen: Vor allem auf der Playstation 4 läuft es nie ganz flüssig, gelegentlich gibt es sogar sekundenlangen Stillstand. Das verdirbt die ansonsten dichte Atmosphäre leider etwas.
Zudem ist das Spiel nicht besonders lang: Nach etwa fünf Stunden ist das Drama zu Ende. Wer sich von „Firewatch“ mitreißen lässt, wird es bis dahin aber kaum aus der Hand legen können - so wie ein gutes Buch. Das ungewöhnliche Adventure gibt es für knapp 20 Euro als Download für den PC und die Playstation 4.