Überholspuren im Internet? - Diskussion entfacht
Berlin (dpa) - Im Internet sind alle gleich - bislang zumindest. Die Online-Präsenz der Bundesregierung wird genauso schnell auf den PC geliefert wie Musikclips von YouTube oder die Kochrezepte aus dem Blog einer passionierten Hausfrau.
Dafür steht das Prinzip der Netzneutralität. Doch Netzbetreiber wie Vodafone oder die Deutsche Telekom wollen diese Verkehrsordnung fürs weltweite Netz umschreiben, etwa indem Vorfährt erhält, wer mehr bezahlt. Die Politik steht vor einer wichtigen Weichenstellung für die Zukunft des Internets.
Dass die Netzneutralität noch als Leitprinzip gilt, gehe auf einen „historischen Unfall“ zurück, sagt Jeanette Hofmann, Politologin vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Die ersten Verknüpfungen des heute weltumspannenden Netzes entstanden in den 60er und 70er Jahren, als Forscher in den USA ihre Großrechner über hunderte von Kilometern verbanden. „Weil das Internet einen akademischen Hintergrund hat, spielten kommerzielle Gesichtspunkte anfangs keine Rolle“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Gleiche Rechte für alle - dieses Prinzip gilt Befürwortern wie Hofmann als Garant für den rasanten Fortschritt und die sprudelnden Innovationen in der digitalen Wirtschaft. „Startups können im Internet ohne große Kosten aktiv werden“, nennt sie ein Beispiel. Ob die heutigen Web-Größen Google und Yahoo, Facebook und Amazon es ohne neutrale Netze geschafft hätten? Eine Abschaffung des Prinzips treibe die Kosten für Innovationen hoch.
Doch die Telekommunikationsbranche will die Verkehrsregeln fürs Netz umschreiben. „Ihre Dienstleistungen sind zu einer Massenware geworden, die man überall zur gleichen Qualität bekommen kann“, sagt Simon Schlauri, der sich in seiner Habilitation mit juristischen und ökonomischen Aspekten der Netzneutralität beschäftigt hat. Die Preise bröckeln - daher versuchten die Anbieter, neue Einnahmequellen zu erschließen.
Die Branche führt zwei Argumente ins Feld. „Das Datenvolumen nimmt massiv zu - im Festnetz wie im Mobilfunk“, sagt Philipp Blank, Sprecher der Deutschen Telekom. „Gleichzeitig haben neue Dienste höhere Qualitätsansprüche, zum Beispiel Videokonferenzen.“ Um den Anforderungen gerecht zu werden, so heißt es in der Branche unisono, bedürfe es massiver Investitionen.
In der Tat wächst der Datenverkehr explosionsartig - bis 2015 um den Faktor 20, schätzen die Betreiber des zentralen Internet-Knotens (DE-CIX) in Frankfurt. Und tatsächlich muss die Übertragung immer öfter in Echtzeit erfolgen, etwa bei Videokonferenzen oder Internet-Fernsehen. Hier kommt es auf Sekundenbruchteile an, anders als etwa bei E-Mails.
Das kann zu Stoßzeiten ein Problem sein. Denn die Provider schleusen alle Datenpakete gleichberechtigt durch ihre Leitungen und teilen ihre Kapazität auf die nachfragenden Anwendungen auf. Fachleute nennen das „Best-Effort-Prinzip“. So kommt es, dass sich Nutzer bei Internet-Telefonaten am Abend mit Aussetzern plagen können.
Die Telekom will daher verschiedene Qualitätsklassen anbieten: Inhalte- und Diensteanbieter, die für den Anschluss ans Netz mehr zahlen, bekommen eine bestimmte Übertragungsqualität garantiert. Anders gesagt: Wer mehr zahlt, hat bei dichtem Verkehr Vorfahrt.
Dass dadurch der Wettbewerb leiden würde, bestreitet Telekom-Sprecher Blank. „Große Anbieter können weltweit Server-Farmen betreiben, mit denen sie die Inhalte näher an den Kunden bringen und damit die Qualität verbessern. Kleine Anbieter können sich so etwas nicht leisten.“ Die Qualitätsklassen garantierten dagegen eine Übertragung in bestellter Qualität.
Vodafone will zudem die Verbraucher stärker zur Kasse bitten. Schon jetzt verlangen die Mobilfunker einen Aufpreis, wenn Nutzer mit Skype übers Mobilfunknetz telefonieren wollen. Deutschland-Chef Fritz Joussen kann sich vorstellen, das Modell auch auf andere Dienste im Netz auszuweiten. Man müsse die Kapazität bestmöglich auslasten, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Die Netzneutralität widerspricht dieser wirtschaftlichen Betrachtung.“
Kritiker sehen dagegen keinen Grund für einen Zuschlag. „Die selbst erschaffenen Engpässe sollen gewinnbringend vermarktet werden, indem man "Überholspuren" für bestimmte Inhalte anbieten will“, schreibt etwa Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC). „Bei der Bahn wäre das in etwa so, als würde sie bei Schnee gewisse Schienenabschnitte nur gegen Extrabezahlung räumen.“
Langfristig sieht Simon Schlauri ohnehin den Trend zu wachsenden Bandbreiten, die anspruchsvolle Dienste auch ohne Überholspur ermöglichen werden. Der mittlerweile für den Schweizerischen Telekommunikationsanbieter Sunrise tätige Jurist nennt Internet-Telefonate mit dem Voice-over-IP-Protokoll als Beispiel: Diese seien heute ohne Probleme über eine normale Netzverbindung möglich. „Das Internet gewinnt laufend an Qualität“, ist er überzeugt.