Vorschriftenwirrwarr in Europa Wegwerf-SIMs für Terroristen: Was tun gegen Prepaid-Tricks?
Berlin (dpa) - Telefonieren ohne Vertragsbindung bei guter Kostenkontrolle - dafür sind Prepaid-Karten beliebt. Doch Terroristen und Schwerkriminelle schätzen die mit Guthaben aufladbaren SIM-Karten aus ganz anderen Gründen: Sie können damit nahezu anonym kommunizieren.
Bislang ist es für sie vielerorts in Europa nicht schwer, die kleinen Chip-Karten für das Mobiltelefon zu besorgen - unter falscher Identität.
Ein besonders drastischer Fall hat jüngst die Deutsche Telekom aufgeschreckt: In Ungarn, sagt Unternehmenssprecher Andreas Middel, haben Unbekannte 200 000 SIM-Karten auf den Namen eines Obdachlosen gekauft. Darüber hatte zuerst die „Wirtschaftswoche“ berichtet. Einige dieser Karten wurden demnach später bei erschossenen Terroristen gefunden. Der Fall ist auch der Bundesregierung bekannt, wie eine Sprecherin des Innenministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.
Nach den Erkenntnissen des Ministeriums versuchen Terroristen und Kriminelle regelmäßig, durch konspiratives Vorgehen ihre Taten zu verschleiern. Einige von ihnen wechselten dazu auch regelmäßig ihre Kommunikationsmittel.
„Wir gehen davon aus, dass Kriminelle Prepaid-Karten auf Vorrat kaufen und sie dann häufig nur für einen einzigen Anruf benutzen“, sagte Telekom-Vorstandsmitglied Thomas Kremer der „Wirtschaftswoche“. Und dabei macht es ihnen ein Vorschriftenwirrwarr in Europa leicht. Die Regeln beim Verkauf unterscheiden sich von EU-Staat zu EU-Staat teils drastisch, sagt Telekom-Sprecher Middel.
In Deutschland legt Paragraf 111 des Telekommunikationsgesetzes fest, dass beim Erwerb einer Prepaid-Karte ein Personalausweis oder ein anderes zur Identifikation geeignetes Dokument vorgelegt werden muss. Die so erhobenen Daten müssen vom Anbieter gespeichert werden. In Kraft tritt das Gesetz im kommenden Juli. Der Bundestag hatte es als Teil des Anti-Terror-Pakets bereits im vergangenen Sommer verabschiedet.
In anderen EU-Staaten müssten sich Käufer dagegen teils gar nicht registrieren lassen, sagt Middel. Besonders problematisch sei bislang in der gesamten Branche der Online-Verkauf. Oft reiche dabei die Angabe einer E-Mail-Adresse. Dass die bestehenden Regeln nicht ausreichen, zeige der Fall Ungarn deutlich. Dort seien bei den massenhaften Verkäufen keine Gesetze missachtet worden, betont Middel. „Bevor nun jedes Land einzelne Regeln erlässt, ist es doch besser, wenn es eine EU-weite Regelung gibt“, sagt er.
Diese Forderung findet auch in der Bundesregierung Zustimmung. „EU-weite Regelungen in diesem Zusammenhang können unter Sicherheitsaspekten sinnvoll sein, wenn sie zu einer Verbesserung der Identifikation des tatsächlichen Nutzers beitragen“, teilt die Sprecherin des Innenministeriums mit. Das Wirtschaftsministerium erachtet einheitliche Regeln als „erstrebenswert“. Nachvollziehen zu können, wer der tatsächliche Nutzer eines Handys ist - das sei wichtig für polizeiliche Ermittlungen.
Doch würde eine flächendeckende Registrierungspflicht alle Verstecke ausleuchten, die die Prepaid-Telefonie derzeit noch bietet? Peter Schaar, Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz und ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter, hat da so seine Zweifel. Denn damit eine Telefonnummer zuverlässig einer Person zugeordnet werden kann, müsste auch sichergestellt werden, dass die SIM-Karten nach dem Kauf nicht weitergegeben werden. „Man müsste also diesen Registrierungsprozess immer wieder erneuern“, sagt Schaar. „Das ist ein Riesenaufwand, der da betrieben würde.“
Immerhin knapp 60 Millionen Prepaid-SIM-Karten waren 2016 nach Schätzungen des Telekommunikationsverbands VATM in Deutschland aktiviert. Das entspricht 46,5 Prozent aller aktiven SIM-Karten im Umlauf. Der Rest - die 68,5 Millionen sogenannten Postpaid-SIM-Karten - läuft über Vertrag.
Ein weiteres Problem: Wer anonym kommunizieren will, dem stehen noch ganz andere Wege zur Verfügung als das Handy mit Wegwerf-SIM-Karte, zum Beispiel die Internettelefonie. Aus Sicht von Schaar ist es technisch gar nicht möglich, diesen Kanal denselben Identifikationspflichten zu unterwerfen wie die SIM-Karte.
Die Forderungen nach strengeren Regeln könne er nachvollziehen, sagt Schaar, „inwieweit man damit jedoch die konkreten Probleme wirklich löst, bin ich nicht sicher“. Zumindest einen Extrem-Fall wie den in Ungarn würde es mit strikter Ausweispflicht wohl nicht mehr geben.