Wie Neonazis Nachwuchs im Netz ködern
Berlin (dpa) - Sie überkleben QR-Codes, kapern Hashtags und verbreiten viral rassistische Witze: Rechtsextreme sind kreativ geworden, wenn es darum geht, Nachwuchs anzulocken. Einige tragen sogar Vollbart und Jutebeutel.
Witze, Wortspiele oder Fotomontagen sind wichtiger Bestandteil jugendlicher Netzkultur. Sie werden geliked und geteilt, getwittert oder gebloggt und damit an den gesamten digitalen Freundeskreis weitergegeben. Auch Rechtsextreme setzen mehr und mehr gezielt auf diese virale Verbreitung.
Ihre Bilder folgen dem Muster vieler Netz-Witze: Ein Foto, dazu ein Kommentar in weißen Großbuchstaben. In diesem Fall ist es ein rassistischer Spruch, den Rechtsextreme verbreiten. In einem anderen Fall zeigt eine Facebook-Seite als Profilbild das Gesicht Adolf Hitlers, wie er ein Selfie von sich schießt.
Die Internet-Kultur wird dabei als Katalysator benutzt, um auch außerhalb der rechten Szene Gehör und Zuspruch zu finden. Viele junge Menschen erkennen die auf witzig getrimmten Sprüche häufig nicht sofort als extremistisch. Das liegt auch daran, dass die Rechten-Propaganda dem Humor im Netz in Form und Art der Gestaltung sehr ähnlich ist. „Das ist mittlerweile Teil des Szenereportoires“, erklärt Stefan Glaser von der Organisation Jugendschutz.net, die die Entwickung in ihrem Jahresbericht „Rechtsextremismus Online“ beschreibt.
Nicht nur online wandelt sich das Bild der Rechten, das immer weniger vom Klischee glatzköpfiger Springerstiefelträger geprägt wird. Junge Rechtsradikale haben sich vielerorts in Deutschland sogar dem großstädtischen Stil angenähert: In Anlehnung an die Hipster-Mode werden sie „Nipster“ - Nazi-Hipster - genannt und tragen Vollbart sowie Jutebeutel.
Auch hier lautet die Strategie: Die rechte Ideologie trendy verpacken und damit verharmlosen. Die Schlussfolgerung des Berichts gilt eigentlich nur für das Netz, passt aber genauso für das Vorgehen der Neonazis offline: „Anleihen aus jugendkulturellen Phänomenen, Themen aus der Lebenswelt und aktuelle Netztrends fungieren als Türöffner.“
Im Netz nehmen Facebook, YouTube, Twitter und Tumblr eine immer größere Bedeutung für die Propaganda ein. Die Rechten versuchen sich häufig als Trittbrettfahrer. Twitter-Hashtags gegen Rassismus werden mit rassistischen Tweets umgedeutet, vermeintliche Trailer zu Hollywood-Filmen auf YouTube enthalten Propaganda-Videos. Auch kursierte der Aufruf, Plakate mit QR-Codes, die von Handys gelesen werden können und auf die Internetseite des beworbenen Produkts führen, mit eigenen Codes von Neonazi-Seiten zu überkleben.
Aber was tun gegen den so verpackten Rassismus im Netz? Löschen? Die Zusammenarbeit mit den Betreibern der Online-Netzwerke funktioniere in den meisten Fällen gut, berichten die Jugendschützer. Aber das allein reicht nach Meinung von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) nicht. „Im Grunde hat Jeder und Jede die Möglichkeit, im Netz Zivilcourage zu zeigen“, erklärt sie. Es reiche nicht, Hassbotschaften wegzuklicken wie unerwünschte Werbung. Nutzer sollten die Botschaften melden oder im Internet selbst ihre Stimme dagegen erheben.
Auf der Straße sei die Gegendemonstration bei Nazi-Aufmärschen „geradezu ein Kulturgut“, sagt auch Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Er plädiert für mehr Widerstand auch im Netz: „Es fehlt uns an Online-Gegendemonstrationen.“