Auf und hinter der Ballettbühne ein Paar
Primaballerina Lucia Lacarra und ihr Partner Marlon Dino zeigen in Dortmund exquisite Ballettbilder.
Dortmund. Die Dortmunder reiben sich auch nach anderthalb Jahren noch die Augen. Ballettfans, die Kompanie und das Team um Xin Peng Wang haben es geschafft, eines der weltweit begehrtesten Tanz-Paare ins Ruhrgebiet zu locken: Lucia Lacarra, die 2011 zur besten Tänzerin des Jahrzehnts ausgerufen wurde, und Marlon Dino — ihr Partner auf den großen Bühnen der Welt. Sie wechselten 2016 vom renommierten Münchener Staatsballett nach Dortmund. Und bezaubern dort das Publikum — derzeit als schöne Helena und Faust in „Faust II“ und in „Tschaikowsky“— er als suchender Tondichter, sie als die berühmte Förderin Baronin von Meck. Das Besondere: Lacarra und Dino sind auch im Leben ein Paar.
Im Fußball geht die Reise der Stars normalerweise von Dortmund nach München. Doch das Tanz-Duo drehte nach Unstimmigkeiten mit der neuen Direktion der bayrischen Metropole den Rücken. Die beiden Tänzer, in denen viele Deutschlands erste Ballett-Botschafter sehen, verließen das Staatsballett. Nicht im Zorn, aber doch enttäuscht. Sie machten einen Schnitt und suchten eine Wohnung in Dortmund, pendeln mittlerweile zwischen Ruhr und Isar, mit Abstechern nach New York, Peking, Moskau und Madrid. Weltweit stehen 40 Vorstellungen auf ihrem Programm — zahlreiche davon im Opernhaus Dortmund.
Die Primaballerina wusste schon mit drei Jahren, dass sie Tänzerin werden wollte: Zu Hause in Spanien gab es eine Spieluhr, auf der zierliche Balletttänzerinnen ihre Pirouetten drehten. Von da an war Lucia Lacarra fasziniert, seit ihrem 15. Lebensjahr tanzt sie professionell. Wenn sie nun in einer Hauptrolle auf der Bühne steht, kann es schon mal sein, dass sie an einem einzigen Abend zwei Spitzenschuhe durchtanzt. Auch sonst ist das Leben Tanz, bis auf eine kleine Ausnahme: Vor zweieinhalb Jahren kam die gemeinsame Tochter des Tanzpaars zur Welt.
Lucia Lacarra und Marlon Dino proben und trainieren, selbst unterwegs im Hotelzimmer. Natürlich auch in den Ferien. Starallüren? Fehlanzeige. Die beiden wissen, was sie wollen, sprechen fließend fünf oder sechs Sprachen. „Es reichen 14 Tage in einem Land, dann kann ich mich phonetisch verständigen“, sagt Marlon Dino. Darin liege seine eigentliche Begabung. Das Tanzen sei eher zufällig dazugekommen. Das passt zu dem, was Lucia Lacarra und er häufig betonen: „Wir sind in erster Linie keine Künstler, sondern Menschen.“ Deshalb fühlen sie sich bei Wang und seinem früheren Assistenten Tobias Ehinger (mittlerweile zum geschäftsführenden Direktor des Opernhauses avanciert) wohl und gut aufgehoben.
Lacarra kennt Dortmunds Ballettchef seit zehn Jahren, war Stargast bei vielen Ballett-Galas im Dortmunder Opernhaus. Sie eine zierliche Frau, er ein stattlicher Mann, 1,95 Meter groß. Ungewöhnlich für einen Ballerino. Dortmunds Chefchoreograph Wang, auf Handlungsballette spezialisiert, setzt im Rachmaninow-Tschaikowsky-Ballettabend auf abstrakten, neoklassischen Tanz. Und verfügt, neben Dortmunds exzellent trainierter Kompanie und dem NRW-Junior-Ballett, mit Lacarra über eine der wandlungsfähigsten Tänzerinnen unserer Tage.
Sie und ihr Ehemann verwandeln Tschaikowskys Symphonie Pathétique in exquisite Ballett-Bilder, die trotz abstrakt wirkender Bühnenskulpturen (Frank Fellmann) und lustvoll losschwirrender Gruppenszenen doch an eine Liebes-Tragödie erinnern. Vielleicht an die des Komponisten und seiner Förderin Baronin von Meck. Denn die Pathétique, 1893 kurz vor dem plötzlichen Tod des Komponisten uraufgeführt, endet mit einem Requiem. So taucht, nach einem aufwühlenden Abschieds-Pas-de-deux, Lacarra im Schlussbild mit schwarzem Schleier als trauernde Witwe auf.
Als Traumpaar kommen die beiden zunächst zusammen, werden immer wieder von der Gruppe getrennt. Anfangs geben sie sich locker, klopfen dem Partner lässig auf die Schulter oder auf den Bauch, fallen sich nach einiger Zeit wieder in die Arme. Angeführt von Tschaikowskys tänzerischer Tondichtung, die in vielen Passagen an seine Ballett-Kompositionen erinnern. Wangs Choreographie wahrt den Spannungsbogen zwischen temperamentvollen Tableaus, schnell und präzise, aber auch ausdruckstark von seiner Truppe getanzt, und den Soli und Pas-de-deux mit Lacarra/Dino. Besonders Lacarra ist das Zentrum des Abends.
Sobald die spanische Primaballerina wie eine Feder auf die Bühne schwebt, sich mit und ohne Partner dreht, springt, ihre Balance hält oder nur einen Arm hebt, verzaubert sie. Nach Sprüngen und Hebefiguren landet Lucia Lacarra lautlos, scheint den Boden nicht zu berühren und hat die außergewöhnliche Aura, die man nur von Weltklasse-Ballerinen kennt. Und wird mit stehenden Jubel-Ovationen gefeiert. Allein ihre Auftritte lohnen das Ticket im Dortmunder Opernhaus.