Alice Schwarzer veröffentlicht Autobiografie
Köln (dpa) - Klein-Alice wächst bei den Großeltern auf. Der fürsorgliche Opa kümmert sich um das uneheliche Mädchen, für das die sporadisch vorbeischauende Mutter kaum Interesse zeigt. Die Oma ist schwierig.
Mit vier Jahren ist Alice „Familienchef“, geht früh selbstständig und unerschrocken durchs Leben, hat eine Mädchenbande. In der Schule eckt sie an, mit 16 schließt sie die Handelsschule ab. Beruflich gelingt nichts richtig, also geht es mit 19 Jahren nach Paris, als Au-Pair. Dort gehört Alice Schwarzer bald zu den Pionierinnen der Frauenbewegung. Später wird sie deren Frontfrau in Deutschland und gründet 1977 die feministische Zeitschrift „Emma“.
Das alles schreibt die 68-Jährige in ihrer Autobiografie „Lebenslauf“, die an diesem Donnerstag erschienen ist. Die umstrittene Feministin, die bisher nie Privates preisgab, schildert sich darin als energisch und unerschrocken, aber auch verletzlich. Als eine Frau, die sich oft isoliert fühlte, der häufig niemand zur Seite sprang, wenn ihr bittere öffentliche Häme entgegenschlug.
Und die Journalistin outet sich als jemand, der Männer und Frauen liebt. Der erste Kuss galt mit 14 Jahren dem rothaarigen Volker, die große Liebe war zehn Jahre lang Bruno aus Paris. Nach zwei Jahren mit Ursula folgt ihre zweite lange Liebesbeziehung: „Mit einer Frau. Mit ihr lebe ich bis heute weitgehend mein Beziehungsideal (...) Wir sind ein offenes Paar, aber kein öffentliches. Und so wird es bleiben.“
Schwarzers Schilderungen gehen nur bis 1977, Teil zwei soll folgen. Sie zeichnet das Bild einer wissensdurstigen, aktiven Frau voller Tatendrang, die gerne feiert, viele Freunde hat. Ein Kontrast zu dem Image, das man Schwarzer heute gern verpasst - eine zeternde Besserwisserin und Einzelkämpferin, die andersdenkende Frauen öffentlich attackiert und starke Geschlechtsgenossinnen neben sich nur schwer erdulden kann.
Schwarzer gehört in Paris bald zum Kreis um die Philosophin und feministische Leitfigur Simone de Beauvoir. Sie fordern gleichen Lohn für Frauen und ein Recht auf Abtreibung. Prominente Frauen starten dazu 1971 eine Kampagne, die Schwarzer kurz darauf nach Deutschland importiert. Im „Stern“ bekennen 374 Frauen: „Wir haben abgetrieben“. Eine Provokation.
Als sie 1974 endgültig zurück nach Deutschland kommt, beginnt ein schwieriges Verhältnis zu anderen Vertreterinnen der aufkeimenden Frauenbewegung: „Sicher, ich habe mit Impulsen, Aktionen und Veröffentlichungen zum Aufbruch der Frauen beigetragen.“ Zugleich sei sie aber „untypisch“ gewesen. „Ein Import, der immer fremd blieb.“
Ihre Erinnerungen wirken offen, sind unterhaltsam, Selbstkritik gibt es kaum. Insgesamt ist Schwarzer zufrieden, betont, dass sie immer unabhängig geblieben sei und sich keinem Kollektivdruck gebeugt habe. Sie sei „in wechselnden Bündnissen“ tätig gewesen, vor allem über die Zeitschrift „Emma“, die in einem Kraftakt und mit den Erlösen aus ihrem Bestseller „Der kleine Unterschied“ (1975) entstand.
Schwarzer hat viel einstecken müssen. Sie sei in den 70ern zur „Zielscheibe Nr. 1“ geworden. Als „Schwanz-ab-Schwarzer“ oder „Männerhasserin“ wurde sie beschimpft, als sie mit ihrem Kampagnen Tabus brach. „Allerdings hat es neben allen Aggressionen auch immer sehr viel Zuneigung gegeben, von Anfang an. Sonst hätte ich das vermutlich gar nicht überlebt.“ Bis heute werde das „Hexen-Szenario“ mit ihr durchgespielt.
Schwarzer kann aber auch gut austeilen. In „Lebenslauf“ ist zwar zu lesen: „Mit Frauen lege ich mich selten an.“ Durchaus feindselig attackierte die 68-Jährige aber Kristina Schröder (CDU), die als Familienministerin ungeeignet sei und besser als Pressesprecherin bei „rechtskonservativen Männerbünden“ anheuern solle. Der Umgang mit TV-Moderatorin Lisa Ortgies, die 2008 „Emma“-Chefredakteurin werden sollte, aber rausflog, war ebenfalls rüde.
Ihre zweite Lebenshälfte fehlt zwar in der Autobiografie, einen Schlenker in die jüngste Vergangenheit macht Schwarzer aber doch. Die Kritik an ihr wegen ihres Einsatzes für die „Bild“-Zeitung aus dem Prozess gegen Wettermoderator Jörg Kachelmann habe groteske Züge angenommen, meint die Journalistin. Tatsächlich hat die Rolle Schwarzer viel Renommee gekostet. Über den Fall Kachelmann plant sie ein Buch. Warum sie nun die Autobiografie verfasst hat? Weil im öffentlichen Schwarzer-Bild vieles von Klischees geprägt sei und weil „meine Neugierde auf mich selber wuchs.“