Böll aktuell: „Widerstand ist ein Freiheitsrecht...“

Berlin (dpa) - Wer denkt in Zeiten der Occupy-Bewegung schon gleich an Heinrich Böll? Dabei sind die „Schriften und Reden zu Politik und Zeitgeschichte“ des 1985 gestorbenen Literaturnobelpreisträgers („Ansichten eines Clowns“) gerade jetzt besonders aktuell.

Die Texte sind jetzt erstmals unter dem Titel „Widerstand ist ein Freiheitsrecht...“ in einem Sammelband erschienen. Sie faszinieren in ihrer lebendigen Rhetorik, einer Mischung aus Leidenschaftlichkeit und Sprachwitz.

„Wir Autoren sind die geborenen Einmischer“ war sein Credo gemeinsam mit anderen „Pinschern“ der frühen Bundesrepublik, wie ein Bundeskanzler die sich politisch engagierenden Schriftsteller wie Böll, Günter Grass oder Rolf Hochhuth in den 60er Jahren einmal nannte.

Von einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise im heutigen Ausmaß war noch nicht die Rede, als Böll schon vor einem halben Jahrhundert die Westdeutschen im bröckelnden Wirtschaftswunderland für mehr Wachsamkeit gewinnen wollte: „Unbegrenzt ist die Geduld der deutschen Gesellschaft, die sich offenbar immer noch in der Einübung jenes Stadiums befindet, das mit 'fünf nach zwölf' immer noch am besten zu bezeichnen ist.“

Wenigstens die Künstler und Schriftsteller aber dürften nie Ruhe geben, denn auch „Poesie ist Dynamit für alle Ordnungen dieser Welt“ und Kunst sei „eine, vielleicht die letzte Möglichkeit, die Gummizelle durch eine Zeitzünderbombe zu sprengen oder den Irrenhausdirektor durch eine vergiftete Praline außer Gefecht zu setzen“, wie es Böll 1966 in einer Einführung zu seiner Erzählung „Ende einer Dienstfahrt“ formulierte. „In diesem Land scheitert ohnehin das meiste nicht an sachlichen, sondern an Protokollfragen“, meinte er in seiner Rede zum Büchner-Preis 1967.

Nicht gerade zimperlich ging der Schriftsteller mit manchen herausragenden Vertretern der politischen Klasse um. So habe zum Beispiel Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), „nicht den geringsten Sinn für Ethos“, was bei dem „Musterchristen of the western world“ immerhin erstaunlich“ sei. „Er hatte bei den harten Verhandlungen nicht nur kein schlechtes, sondern, wenn er es für richtig hielt, gar kein Gewissen.“

Die „kölschkatholische-linksrheinische Chuzpe“ des ersten Kanzlers der Bundesrepublik sah der in Köln geborene Katholik Böll auch in dessen Verständnis vom Amt des Bundespräsidenten, dessen erste Besetzung mit dem Freidemokraten Theodor Heuss Adenauer aus parteipolitischem Proporz durchgesetzt habe. Als man Adenauer in seiner Umgebung zu bedenken gab, Heuss sei nicht gerade „kirchenfreundlich“, erwiderte Adenauer: „Er hat eine sehr christlich denkende Frau, das genügt“, zitierte Böll aus den Erinnerungen Adenauers.

Böll warnte auch immer wieder vor bestimmten Maximen wie „Eine Hand wäscht die andere“, die sich bestimmte Vertreter der „gehobenen Gesellschaft“ zum eigenen Vorteil zunutze machten. Das „gemeine“ Volk“ werde sich angesichts solcher Praktiken sagen: „So ist es nun mal in der Welt, eine Hand wäscht die andere, und in der besseren Gesellschaft herrschen nun mal andere Sitten.“

„Wenn man zeigen will, wer da der Herr im Hause der Republik ist, ist ein Adelsprädikat sehr nützlich oder die unverletzliche Hornhaut eines Oberbankers, der in Drachenblut gebadet hat“. Günter Grass sprach später in ähnlichen Zusammenhängen von „Skinheads mit Schlips und Kragen“.

Bölls „Reden und Schriften zu Politik und Zeitgeschichte“ sind heute aktueller denn je. Passend dazu vielleicht das, was Böll selbst einmal über Georg Büchners revolutionäres Werk formulierte: „Die Unruhe, die Büchner stiftet, ist von überraschender Gegenwärtigkeit.“

Wo es aus zeithistorischen Gründen dem heutigen Leser der Böll-Texte an Detailkenntnissen fehlt, hilft der fast 300 Seiten umfassende Stellenkommentar auf exzellente Weise nach.