Brunettis 20. Fall: „Reiches Erbe“ von Donna Leon
Zürich (dpa) - Bereits zu Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit gab es ein „Venezianisches Finale“. 20 Jahre später nun beschert Donna Leon ihren Lesern ein „Reiches Erbe“.
Das klingt nach Symbolik - immerhin veröffentlichte die Amerikanerin seit 1992 jedes Jahr einen neuen Brunetti-Krimi. Der 20. Fall des charismatischen Commissario ist der erste Teil eines Doppeljubiläums in diesem Jahr: Im September feiert die zumeist in Venedig lebende Autorin ihren 70. Geburtstag.
Es ist nicht so, dass sich die Literatin ausschließlich mit Mord und Totschlag in der Serenissima beschäftigt. Doch die Brunetti-Romane besitzen Suchtpotenzial und sie sind es, die die Liebhaberin historischer Akten und barocker Musik berühmt gemacht haben. Ganz in der 20-jährigen Tradition bewegt sich nun auch der neue Fall, bei dem es nur im Ansatz um ein „Reiches Erbe“ geht.
Wieder ist es eher das subtile, leise Böse als das laute, schreiende, blutige Verbrechen. Und wieder ermittelt der Commissario unkonventionell, mit Herz und Verstand, an den Wünschen und Vorgaben seines Vorgesetzten elegant vorbei. Nur um einmal mehr bestätigt zu bekommen, was er zu gern ausblenden würde: Ohne Korruption, ohne Verbindungen geht in Italien gar nichts. Selbst in seiner Questura nicht. Und auch er ist Nutznießer nicht ganz legaler Mittel.
Brunetti will wissen, welche Umstände zum Tod einer älteren Dame geführt haben. Eigentlich nichts für die Polizei, denn klar ist: Sie starb an Herzversagen. Aber wie wurde es ausgelöst? Und so rollt der Beamte einen Fall auf, der von einer Hilfsorganisation für verfolgte Frauen in ein luxuriöses Altenheim führt, der Gewalt, Betrug, Lügen und Habgier ans Licht bringt, der aber auch das Gute im Menschen in ganz unterschiedlichen Facetten zeigt. Ausgangspunkt für diesen Fall ist ein reiches Erbe, das eigentlich schon fast vergessen ist und auf das Brunetti erst sehr spät stößt.
Vom „Venezianischen Finale“ bis zum „Reichen Erbe“ zieht Donna Leon ihren Stil durch, der die Kriminalfälle in das Familienleben des Commissario einbettet. Das häusliche Geplänkel, die wunderbaren Gerichte und klugen Kommentare von Brunetti-Gattin Paola, die altklugen Beiträge der beiden Kinder - das alles macht die Romane so liebenswert. Hinzu kommen skurrile und witzige Charaktere von Signorina Elettra über Vice-Questore Patta bis hin zu Ispettore Vianello, die im Laufe der Jahre immer schärfere Konturen erhielten. Im neuen Roman ist es übrigens vor allem Sekretärin Elettra, die zur Lösung des Falls beiträgt und Brunetti Bauchschmerzen bereitet.
Lesens- und bemerkenswert sind seit jeher auch die gesellschaftlichen Analysen der Donna Leon, die ihre persönliche Meinung auf ihre Figuren überträgt. Und diese Gedanken sind nicht nur freundlich-sarkastisch. Immer nahm sie in den vergangenen 20 Jahren Themen aufs Korn, die - nicht nur - Italien bewegen: Diskriminierung von Minderheiten, Asylproblematik, Kindesmissbrauch, Umweltskandale. Vereinzelt führte dies auch zu Kritik: Leon packe zu viel in ihre Krimis, das Format zwinge sie zu Stereotypen und Klischees. Doch Donna Leon hat etwas zu sagen, und Brunetti ist ihr Sprachrohr. Hoffentlich noch lange!
(Donna Leon: Reiches Erbe, Diogenes Verlag, Zürich, 320 Seiten, 22,90 Euro, ISBN: 978-3-257-06750-7)