Das Dschungelbuch in Bildern: Mowgli tötet für sein Leben
Der Düsseldorfer Illustrator Martin Baltscheit zeigt berauschende Bilder in der Neuauflage von Kiplings „Dschungelbüchern“.
Düsseldorf. Wer Martin Baltscheit im Sommer traf, durfte sich über dicke Bildbände nicht wundern, die er mit sich rumschleppte. Löwen, Tiger, Bären und Affen - die Tiere des Dschungels bestimmten monatelang das Leben des Düsseldorfer Illustrators.
Jetzt liegt das Ergebnis vor: Der Boje-Verlag hat Rudyard Kiplings Klassiker "Die Dschungelbücher" von 1894 neu aufgelegt. Baltscheit hat diese literarische Kostbarkeit bis zum letzten Komma, bis zu einer Zeile, die Mowglis Mund entsteigt, bis zur marodierenden Meute Affen illustriert.
Die Abbildungen sind blutrot, schwarz, düster und wild - er bedient kein Kindchenschema, sondern zeigt animalische Kraft.
Zusammen mit dem Übersetzer Gisbert Haefs ist ihm ein Coup gelungen: Sie lassen die scheinbar übermächtigen Bilder des tapsigen Bären Baloo, die psychedelisch verdrehten Augen der Schlange Kaa und die rockende Affenbande aus dem Hause Walt Disney verblassen.
Diese "Dschungelbücher" führen in eine Welt, in der Jagen und Töten allgegenwärtig ist, in der das Gesetz der Tiere und nicht ein niedlicher Blick entscheidet, wer lebt und wer stirbt. Es geht ums Ganze, wenn Mowgli den Tiger mit einer List in eine Schlucht lockt.
Denn die beiden verbindet seit der Nacht, in der Shere Kahn Mowgli von den Menschen raubte, das Versprechen, dass einer den anderen töten werde.
Kiplings Geschichten aus dem indischen Dschungel wurden lange als Kinderbuch abgetan, der Autor als Imperialist missverstanden, erklärt Übersetzer Haefs. Zu Unrecht.
Er lässt die Sprache des britischen Literaturnobelpreisträgers in ihrer vollen Kraft leuchten. Beim Lesen spürt man das seidige Fell des geschmeidigen Panthers Bagheera, die harten Schläge, mit denen Baloo seinem Schützling Mowgli das Gesetz des Dschungels einprügelt.
Zu den "Dschungelbüchern" zählen längst nicht nur die aus dem Film bekannten Figuren. Kipling erzählt von Begegnungen, die Tiere mit diesen anderen Wesen, den Menschen erleben.
Von einer weißen Robbe etwa, die für ihre Artgenossen auf der ganzen Welt nach einer Insel sucht, auf der nicht die Schlächter mit ihren Keulen auf sie warten. Oder von Esel, Pferd, Kamel und Ochse, die zu einem kriegsführenden Regiment gehören.
Sie debattieren über ihren Rang, über Herkunft, Mut und Erfolg und spiegeln herrlich subtil die Dummheit menschlichen Säbelrasselns. In intelligenten Dialogen tauschen die Tiere ihre Sicht auf die Welt.
Keineswegs simpel, sondern vom Kampf ums Überleben ebenso geprägt, wie von Tradition und Wandel, von der Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft. Kipling erkannte in der Fremde das Vertraute, zeigte im Exotischen das Typische.
Baltscheit hat nicht nur mit seinen Illustrationen eine neue, berauschende Sicht auf Kiplings Klassiker ermöglicht. Er liest auch das gleichzeitig veröffentlichte Hörbuch. Und wer ihn bei einem seiner Live-Auftritte erlebt, weiß wie Baloo poltert, wie Kaa zischt und der Geier über den Wipfeln heiser kreischt.
Die Sätze sind lang, ihr Bau komplex, mehrmals wirft es auch einen Kenner wie Baltscheit aus den Zeilen. Wer hat das jetzt gesagt? "Ich hätte mir das natürlich auch markieren können. Aber dann wäre ja das schöne Buch versaut", erklärt er.
Wahrlich eine Schande, denn dieses Werk ist eine wohlkomponierte Mischung aus Text, Illustration und Typographie.