Debüt: Wenn der Tod ein Beschützer ist

Aberwitzige schwarze Satire auf eine totalitäre Welt.

Düsseldorf. In dieser Welt kann sich niemand sicher fühlen. Schon gar nicht ein Junge, dessen Vater vom Geheimdienst abgeholt und ins Arbeitslager verschickt wurde. Schläge drohen von allen Seiten: von den Spielkameraden, den Bauarbeitern auf der Straße, von den Lehrern, vom Fußballtrainer. Nur die Mutter hält sich aufrecht mit letzter Kraft und zeigt ihrem Sohn, dass es noch anständige Menschen gibt, die Mitleid empfinden können und sich dem allgemeinen Terror nicht beugen.

Die Welt, die der Zwölfjährige in "Der weiße König" schildert, ähnelt dem Rumänien der 80er Jahre, als Ceausescu und sein Geheimdienst Securitate das Land in Angst und Schrecken versetzen. Dort ist György Dragomán 1973 geboren als Teil der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen. 1988 zog die Familie nach Ungarn, wo der heute 34-jährige Autor lebt. Schon sein Debütroman wurde in Ungarn ausgezeichnet, für "Der weiße König" erhielt er 2006 den Márai Sándor-Preis.

György Dragomán ist ohne Zweifel eine literarische Entdeckung, sein Buch schlägt den Leser sofort in Bann. Die atemlosen Sätze ziehen sich ohne Punkt über Seiten hinweg, wie in Panik, als hätte der Junge Angst, wir würden ihm nicht zuhören. Dabei hat er viel zu erzählen, denn obwohl die Geschichten eine beklemmend absurde Atmosphäre heraufbeschwören, die oft an Kafka gemahnt, eröffnen sie zugleich eine sehr konkrete Welt voller anschaulicher Details.

Diese höllische Melange, der grausame Film, der auf diese Weise vor den Augen der Leser abläuft, berichtet von Jugendlichen in einem totalitären Staat. Ihre Welt ist moralisch verkommen, sie haben gelernt, dass nur das Recht des Stärkeren gilt und keinem zu trauen ist. So helfen sie sich selbst, gründen Banden, basteln Waffen und führen Krieg gegeneinander.

Aus der Welt der Erwachsenen kommen unverständliche Botschaften: Der Fußballtrainer zwingt die Kinder trotz des Reaktorunfalls auf den Rasen, gibt ihnen aber den Rat, sich möglichst nicht auf den Boden zu werfen und Körperkontakt mit dem Ball zu vermeiden.

Der Autor beherrscht die Satire der schwärzesten Art, wobei gerade dieses Beispiel aus dem Leben gegriffen sei, wie Dragomán in einem Interview berichtete. Grotesk wirkt die Szenerie in der Wohnung eines Politikers, einst Botschafter in Afrika, der die Schätze aus seiner "Kolonialzeit" um sich sammelt: Ausgestopfte Löwen und Antilopen, Zebrafelle und einen Schachroboter besonders gruseliger Art. Aus dem Schachspiel stammt auch der titelgebende "Weiße König", er ist wie die anderen Figuren als Skelett gestaltet. Der Junge stiehlt ihn und fühlt sich fortan weniger verwundbar: Der Tod als Beschützer?

György Dragomán: "Der weiße König". Roman, aus dem Ungarischen von Laszlo Kornitzer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 294 S., 19,80 Euro