Zum Tod des Autoren Peter Rühmkorf: Leben und Arbeiten auf dem Hochspannungsseil

Ein Nachruf auf den wunderbaren Poeten, Essayisten und Büchner-Preisträgers Peter Rühmkorf, der an Krebs starb.

Hamburg. Er war stets empfindsamer Poet und politischer Mahner zugleich. Seine Werke bewegten sich im "Spannungsfeld von politischer Wirkungs- und persönlicher Ausdrucksästhetik", befanden die Juroren des Büchnerpreises. "Schizografie" nannte der Autor Peter Rühmkorf, der am Sonntag im Alter von 78 Jahren in der Nähe von Hamburg starb, einmal seine beiden Schreibantriebe.

Von sich selber sagte er: "Ich bin eine bröcklige Existenz, die sich aufgerufen fühlt, sich jeden Tag neu zu verfassen. Das ist triebhaft bei mir. Ich versuche, in einem Hochspannungsfeld die Balance zu halten. Zwischen Himmel und Erde spanne ich mir selber ein Seil und bemühe mich, nicht herunter zu fallen."

Rühmkorfs letzte größere Veröffentlichung erschien 2004 mit seinen Tagebüchern aus der Zeit von 1971 bis 1972 unter dem Titel "Tabu II". Im Jahr 2008 veröffentlichte er, bereits sterbenskrank, noch einmal Gedichte und Gedankensplitter: "Paradiesvogelschiß". Vieles darin kreiste um die Vergänglichkeit: "Es hat sich ausgepsaltert,/nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert."

Der Linksintellektuelle, der neben virtuoser Poesie auch eine politisch-polemische Feder führte, nannte den Verlust von Hoffnungen als Antrieb zum Schreiben. "Das betrifft auch die politischen Hoffnungen. Immer, wenn ein politisches Glaubensfeld zusammenbrach, ist ein besonderer Sog entstanden, aus dem sich neue Gedichte entwickelt haben", sagte er einmal.

Das sei auch nach dem Zusammenbruch der APO so gewesen. "In der ganzen politisierten Zeit hatte ich Prosa, aber zehn Jahre keine Gedichte geschrieben. Als die Zeit vorbei war, klammerten sich die Hoffnungswurzeln an neue Gedichte."

Die deutsche Einheit und der Umbruch in Osteuropa hatten dem Schriftsteller und Jazzliebhaber eine Zeit lang die "rhetorische Rednersuada" verschlagen. "Ich habe mich in Prosa fast überhaupt nicht zu den deutschen Dingen geäußert, weil diese irrationalen Vorgänge für mich so nicht mehr zugänglich waren. Ich habe viel Zorn, Wut, Sarkasmus und Ironie auf Gedichte verwendet, die sich damit weniger ins Benehmen als ins Unbenehmen setzen", sagte der 1993 mit dem Büchnerpreis ausgezeichnete Dichter. Rühmkorf war sicher: "Es hat das Verfassen von Kunst etwas mit Therapie, vor allem etwas mit Kompensation zu tun."

Der hagere Autor, der alle Nuancen der Sprache kannte, das Ordinäre ebenso wie das Bildungszitat, und in feinsinnig ausgetüftelten, oft schnodderig klingenden Wortspielen das Schwere leicht machte, litt als Jugendlicher unter Magersucht. "Bestimmte Anfechtbarkeiten haben sich erhalten, der schwache Magen, schlechter Schlaf und Angst, die sich als Atemnot bis zu Erstickungsanfällen steigern kann", verriet der Autor. Rühmkorf nannte sich einen "autonomen Atheisten aus Widerstand gegen das christliche Mutterhaus".

Schreiben war für den unehelichen Sohn einer evangelischen Pfarrerstochter und eines reisenden Puppenspielers, den er nie kennengelernt hat, etwas Magisches. "Das Schreiben ist eine Art von Selbstverdoppelung. Man stellt Schatten von sich her, ein zweites Ich, an dem man sich aufrecht hält. Eigentlich möchte man ein ideales Ich von sich selbst verfassen."

Und Schreiben half gegen Angst: "Wenn man merkt, dass es wieder auf so ein ideales Ich zuläuft und ein Gedicht sich vervollständigt und ein Aufsatz sich rundet, dann ist man erhoben und hat der Angst widerstrebende Grandiositätsgefühle."

Gedichte waren für ihn "Klangkörper und Naturprodukte wie ein Traum". Er nannte sich gerne Jäger und Sammler und hatte in seinem Arbeitszimmer mit Blick auf die Elbe Kisten voller Zettel mit Eindrücken stehen. Den ihm gestern zugesprochene Kasseler Preis für grotesken Humor erhält er posthum.