Der Geschichtenerzähler aus Damaskus

Rafik Schami erfindet das Ohr-Kino und fesselt mit dem ,,Geheimnis des Kalligraphen".

Köln. Es ist eine Fälschung. Das gibt Rafik Schami unumwunden zu. Und fügt an: "Aber Sie haben Glück. Es ist eine Fälschung aus erster Hand!" Wer bei einer Lesung davon ausgeht, dass ein Autor aus seinem Roman liest, Fragen beantwortet und Bücher signiert, muss sich an diesem Abend im Gemeindehaus der Evangelischen Kirche in Köln-Sülz betrogen fühlen.

Rafik Schami liest kein einziges Wort. Dafür erzählt er den 300 Besuchern eineinhalb Stunden lang seine neueste Geschichte. Von der schönen Nura und ihrer überwältigenden Liebe zum mittellosen Salman, von einem Gerücht, das durch die Straßen von Damaskus zieht - und von dem Geheimnis des Kalligraphen Hamid Farsi. Vom Anfang bis zum Ende. Ohr-Kino nennt er das.

Und es ist tatsächlich eine Fälschung: Der gerade erschienene Roman hält viel mehr Schauplätze und Handlungsstränge bereit, als die schnell hintereinander geschnittenen Bilder zeigen, die Schami mit seinen Worten in den Köpfen der Zuhörer entstehen lässt. Das größere Vergnügen ist ohne Zweifel sein Erzählen.

Dieser Mann, der 1946 in Damaskus geboren wurde und 1971 nach Deutschland auswanderte, steht auf der Bühne. Kein Tisch, kein Glas Wasser, keine Lichteffekte. Seine Hände bewegen sich ohne Pause. Auf Brusthöhe haben sie Spuren auf der Lederweste hinterlassen. Immer wieder greift er sich selbst ans Revers, um dann mit dem Zeigefinger blitzschnell vorzuschießen und so den Zuhörer wieder in die Story zu ziehen. Was könnte diese Weste wohl von ihrem Träger erzählen?

"Wenn ich morgens aufwache, denke ich erst an Damaskus und dann an meine Familie", erklärt er die Leidenschaft, mit der Schami von dieser aufblühenden Stadt in den 50er Jahren spricht. Bis heute darf der in Syrien politisch verfolgte Schriftsteller sie nicht mehr besuchen. Deshalb schildert er Damaskus in allen Farben: Eine Oase in der Wüste, ihre herb-süßen Arabesken, die prächtige Paläste im Viertel mit dem Namen "Klein-Istanbul" zieren.

Zwei Stunden und 37 Minuten braucht eine Nachricht in dieser Stadt, bis die Gerüchteverbreiter sie unters Volk gebracht haben. Und das Gerücht, dass die schöne Nura ihren Mann, den berühmten und wohlhabenden Kalligraphen verlassen hat, weil sie die von ihm formvollendet kalligraphierten Liebesschwüre nicht mehr ertrug, umklammert diese von Szenen und Personen überbordende Geschichte. "Nur wenn der Anfang und das Ende eines Gerüchts unklar bleiben, hat es eine Überlebenschance", erklärt Schami das Geheimnis der Spannung.

Mit hohem Tempo geht es durch die beschriebene Welt, die wie ein moderneres Abbild aus "1001 Nacht" scheint. Er lässt Figuren in einer Sackgasse stehen, um sie kurz darauf wieder abzuholen. Er erzählt von der Schönheit der arabischen Schrift und von ihrem Makel fehlender Buchstaben. Die lebensbedrohlichen Konsequenzen dieser Erkenntnis folgen an diesem Abend Knall auf Fall. Ein Umstand, den man sich in dem 464 Seiten langen Buch beim Lesen häufiger gewünscht hätte. Aber Rafik Schami liebt eben das Erzählen.