Der Mann mit der Bärenstimme: Harry Rowohlt ist tot
Hamburg (dpa) - Berühmt-berüchtigt war er für seine oft stundenlangen Lesungen mit Whiskey oder Weißwein, bekannt wurde er durch seine Rolle als Penner in der „Lindenstraße“. Geliebt wurde er für seine Übersetzung der „Winnie-the-Pooh“-Bücher.
Harry Rowohlt hatte viele Prädikate und auch sein Gesicht mit der widerspenstigen Mähne, dem langen Bart und der Nickelbrille kannte fast jeder, obwohl er sich nie ins Rampenlicht drängelte. Er starb am Montagabend nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 70 Jahren in Hamburg. Das bestätigte sein Agent Ertu Eren der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Rowohlt sei zu Hause gestorben.
„Ich wurde in der Hochallee 1 in Hamburg 13 geboren. Im Luftschutzkeller, als Zehn-Monats-Kind“, erzählt Harry Rowohlt seinem Freund Ralf Sotschek im Buch „In Schlucken-zwei-Spechte“. Eine Geburt in den letzten Kriegswochen, am 27. März 1945.
In den ersten zehn Jahren hieß er noch Harry Rupp. Seine Mutter, die Schauspielerin Maria Pierenkämper, war da in „dritter und vorletzter Ehe“ mit dem Kunstmaler Max Rupp verheiratet. Sein Vater war dennoch Ernst Rowohlt, wie Harry immer betonte, da Rupp „zur fraglichen Zeit“ bereits in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war.
Eine Karriere als „Verlagserbe“ schlug Harry Rowohlt allerdings aus. Sein Vater sei fünf Mal pleitegegangen. Er sei froh, nicht in den Verlag eingetreten zu sein, „denn diese Tradition hätte ich als erstes wiederbelebt“. Sein Bruder und er verkauften den Verlag Anfang der 1980er Jahre an die Holtzbrinck-Gruppe.
Harrys „erstes Buch“ war „Pu der Bär“. Seine Mutter las ihm daraus vor. Er habe sich dann entschlossen, lesen zu lernen, um es „unbehelligt von der mütterlichen Betonung“ selbst zu lesen.
„Hier kommen wir Hand in Hand, Christopher Robin und ich, um Dir dieses Buch auf den Schoß zu legen.“ Mit dieser Widmung beginnt die deutsche Übersetzung des Kinderbuch-Klassikers „Pu der Bär“. Auf dem Buchdeckel steht nicht nur der Name des Autors A.A. Milne, sondern auch der des Übersetzers: Harry Rowohlt. Der Hamburger hat sich einen einzigartigen Ruf als Übersetzer erschrieben.
„Harry Rowohlt war der erste Übersetzer, der auf dem Cover eines Buches erschienen ist“, sagte die Übersetzerin Ruth Keen. „Weil er so gut, so genial ist, hat er Freiheiten, die andere nicht haben.“ An die 200 Bücher hat Harry Rowohlt seit 1969 übersetzt. In der Szene wurde immer wieder über die Freiheit gestritten, die sich der eigenwillige Rowohlt beim Übersetzen nahm. Für solche Bedenken hatte der nur Spott übrig.
„Harry Rowohlt ist eine singuläre Erscheinung, ein Solitär“, sagte Hinrich Schmidt-Henkel, Vorsitzender des Verbandes der Literaturübersetzer, zu dessen 70. Geburtstag. Für seine Übertragungen ins Deutsche bekam Rowohlt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2005 der Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk als Übersetzer.
Vor allem irische Autoren hatten es Harry Rowohlt angetan. Als Lieblingsautor nannte er oft Flann O'Brien. Nicht zuletzt dafür wurde ihm der Titel „Ambassador of Irish Whiskey“ verliehen.
Wer Übersetzungen wie die von Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“ oder O'Briens „Auf Schwimmen-zwei-Vögel“ nicht kennt, weiß dennoch mit einiger Wahrscheinlichkeit, wie Harry Rowohlt aussieht. Er spielte 20 Jahre lang den Penner Harry in der „Lindenstraße“, insgesamt in 193 Folgen. „Harry Rowohlt ist eine Lichtgestalt“, sagte „Lindenstraßen“-Erfinder Hans W. Geißendörfer im März. „Er spielt den Penner und mit jedem seiner Auftritte veredelt und verzaubert er die "Lindenstraße".“
Harry Rowohlt schrieb viele Jahre seine Kolummne „Poohs Corner - Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand“ in der „Zeit“. Und seine brummige, bisweilen auch scharfe Stimme, ist auf zahlreichen Hörbüchern zu vernehmen. Legendär sind auch Harry Rowohlts Lesungen. Nicht selten dauerten sie fünf Stunden oder mehr, der Verbrauch betrug dann schon mal eine Flasche irischen Whiskeys oder zwei Flaschen Wein. „Schausaufen mit Betonung“, nannte er das mal.
Irgendwann diagnostizierte der Arzt bei Harry Rowohlt Polyneuropathie, eine Nervenerkrankung. Alkohol war seither (fast) tabu. Auf der Straße von vielen Menschen erkannt zu werden, fand Harry Rowohlt lästig. Seit Jahren wohnte er mit seiner Frau im Hamburger Stadtteil Eppendorf. „Er hat nie das Schweinwerferlicht gesucht“, sagte der Komiker und Eppendorfer Karl Dall, der Rowohlt erst vor einigen Wochen zu Hause besucht hatte.
„Der Harry hatte so seine Eigenheiten und Macken. Zu Hause hatte er noch so ein altes Bakelit-Telefon und alles voll mit Büchern.“ Harry sei sich trotz seiner Erfolge immer selbst treu geblieben. Dazu passte auch seine Lieblingstugend: „Sagen was man denkt. Und vorher was gedacht haben.“