Auszeichnung Deutscher Buchpreis geht an Robert Menasse
Frankfurt/Main (dpa) - Gleich auf der ersten Seite jagt Robert Menasse ein Schwein durch die Straßen von Brüssel. In diesem virtuosen Tempo geht es im Roman „Die Hauptstadt“ weiter.
Als der 63-Jährige am Montagabend in Frankfurt dafür von der Jury zum Sieger des Deutschen Buchpreises gekürt wird, schaltet der österreichische Autor ein paar Gänge zurück. Er ist zu Tränen gerührt und es dauert eine Zeit lang, bis er einfach nur „Danke“ sagt.
Robert Menasse hat etwas geschafft, was bisher kaum jemand für möglich gehalten hat: Er hat aus der staubtrockenen EU-Bürokratie einen sehr unterhaltsamen Gesellschaftsroman geschaffen, in den er auch noch Elemente eines Krimis eingewoben hat. Ausgerechnet in der größten Krise der Europäischen Union hat er auf Deutsch den ersten Roman über die Eurokraten geschrieben.
Anhand vieler Erzählstränge entwirft der 63-jährige Autor ein schillerndes Bild der EU-Bürokratie. Seine Beschreibungen der Charaktere wirken treffend. Auch die Winkelzüge der Schweinemarktlobbyisten, die nach China drängen, lesen sich sehr wirklichkeitsnah. Doch die Handlung trägt in vielem auch sehr skurrile und satirische Züge.
Das Ganze gipfelt im verrückt anmutenden Vorschlag eines österreichischen EU-Beamten, zu den „Jubilee“-Feierlichkeiten der EU-Kommission Auschwitz in den Mittelpunkt zu stellen. Denn schließlich sei das Vernichtungslager der Nationalsozialisten, in dem mehr als eine Million Menschen den Tod fanden, auch sozusagen Ursprung der europäischen Idee.
Farce oder Tragikomödie: All dies ist Menasses Buch. Aber aller Eitelkeiten und Abgründe zum Trotz zeichnet Menasse die EU-Beamten auch wohlwollend menschlich. Menasse weiß, wovon er schreibt: Er hat eine Zeit lang in Brüssel gelebt und vier Jahre dort für sein Buch recherchiert.
Der Roman ist also keineswegs die zynische Abrechnung eines EU-Skeptikers mit der überbordenden Brüsseler Bürokratie. „Ich habe große Hochachtung vor ihnen (den Beamten)“, sagt Menasse bei der Preisverleihung.
Menasse selbst hat sich mehrfach schon auch in Essays mit dem europäischen Projekt beschäftigt. Der aus einer jüdischen Familie in Wien stammende Menasse gilt als vehementer Gegner jeglicher Spielart von Nationalismus. Er will die Grenzen überwinden und bezeichnet Europa als das wichtigste Projekt überhaupt.
Die Jury würdigt „Die Hauptstadt“ als „vielschichtigen Text, der auf meisterhafte Weise existenzielle Fragen des Privaten und des Politischen miteinander verwebt und den Leser ins Offene entlässt“. Und weiter urteilen die sieben Experten: „Dramaturgisch gekonnt gräbt er leichthändig in den Tiefenschichten jener Welt, die wir die unsere nennen.“ Das Buch mache „unter anderem unmissverständlich klar: Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können“.
Vor der Endauswahl am Montagabend im Frankfurter Rathaus, dem Römer, galt Menasse als einer der Favoriten. Beim Deutschen Buchpreis geht es auch immer ein bisschen um marktgängige Bücher, die dank ihres Themas eine große Leserschaft versprechen.
Menasse dürfte dies mit Sicherheit gelingen - auch weil sein Thema hochaktuell ist. Ein bisschen ähnlich war es im vergangenen Jahr, als Bodo Kirchhoff für seinen Roman „Widerfahrnis“ den Buchpreis gewann. Da ging es um ein Paar, das in Italien mit der Flüchtlingsdramatik konfrontiert wurde.
Am Ende setzte sich Robert Menasse gegen Gerhard Falkner („Romeo oder Julia“), Franzobel („Das Floß der Medusa“), Thomas Lehr („Schlafende Sonne“), Marion Poschmann („Die Kieferninseln“) und Sasha Marianna Salzmann („Außer sich“) durch. Dem Sieger beim Deutschen Buchpreis, vom Dachverband des Deutschen Buchhandels vergeben, ist in der Regel auch ein vorderer Platz auf den Bestsellerlisten sicher.
Am Schluss seiner kleinen Dankesrede lässt es sich Menasse nicht nehmen, noch eine Lanze für die EU-Bürokraten zu brechen. Schließlich sei es der Generaldirektion der Kultur in Brüssel zu verdanken, dass es die Buchpreisbindung noch gibt.