Buchpreis-Träger Robert Menasse: Ein völlig überzeugter Europäer mit Wiener Schmäh
Düsseldorf. Robert Menasse hat Schwein gehabt. Das muss man in jeglicher Hinsicht behaupten, denn nicht nur hat der österreichische Autor mit seinem aktuellen Roman „Die Hauptstadt“ den Deutschen Buchpreis abgeräumt — er hat das grunzende Nutztier auch literarisch als vielseitig einsetzbar entdeckt.
„Das Schwein ist eine wunderbare Universalmetapher. Vom Glücksschwein bis zur Drecksau werden ihm die unterschiedlichsten Bedeutungen zugeschrieben.“ Übrigens: In der EU-Kommission wird das Tier als „Querschnittsmaterie“ gehandelt. Da schien es Menasse nur konsequent, in seinem gefeierten Gesellschaftsroman eine Sau durch Brüssel zu treiben.
Als der Autor bei einer Lesung im Kuppelsaal der Deutschen Bank in die Reihen blickt, fotografiert er zunächst einmal mit seinem Handy das Publikum. „Ich mache Gegenfotos“, kommentiert der Autor mit unverkennbarem Wiener Schmäh die zum Schnappschuss in die Höhe gereckten Mobiltelefone im Zuschauerraum. Überhaupt besitzt auch der Mensch Menasse einen Sinn für Situationskomik, die in seinem Roman immer wieder subtil durchblitzt. Die Deutsche Bank Stiftung hatte zu der Lesung mit dem Österreicher geladen, die bis auf den letzten Platz besetzt war. Durch den Abend führte die Radio-Journalistin Stefanie Junker — die Lesung und das begleitende Gespräch wurden für WDR 5 aufgezeichnet.
„Morgen fahre ich nach Brüssel.“ Ein gutes Glas Wein in der Hand und vor dem Kamin sitzend, habe Menasse seine Frau eines Abends vor vollendete Tatsachen gestellt, als er Brüssel als jenes besonderen Ortes gewahr wurde, wo die „Rahmenbedingungen für einen ganzen Kontinent“ produziert werden. „Ich wollte wissen, wie die Menschen ticken, die jeden Tag in mein Leben hineinregieren. Die EU ist für die meisten von uns ein großes Abstraktum, das ich besser verstehen wollte.“
Die Idee zu „Die Hauptstadt“ war geboren. Für seine Recherchen hat Menasse viel Zeit in Brüssel verbracht und sich mit etlichen Kommissionsbeamten getroffen. Immer zum Mittagessen oder wenn die Damen und Herren gerade Feierabend hatten. Das habe Spuren hinterlassen: „In den ersten Monaten der Recherche habe ich acht Kilo zugenommen.“ Neben ein paar Pfunden mehr auf den Rippen hat die Arbeit zu seinem Buch Robert Menasse aber vor allem zum leidenschaftlichen Europäer gemacht. Denn neben den schrulligen Figuren wird Brüssel selbst mit seinen Skurrilitäten und Widersprüchen zur eigentlichen Hauptfigur des Romans. Bestätigt habe ihm dies auch ein Brüsseler Literaturwissenschaftler mit der Erkenntnis, Menasse habe „den ersten Brüsseler Stadtroman“ geschrieben. Findet sich diese literarische Gattung über Metropolen wie Berlin, London und Paris, war ein Stadtroman über Brüssel bislang Mangelware.
Wer das Buch noch nicht gelesen hat, dem dürfte der Plot zunächst etwas rätselhaft erscheinen: Da wäre zunächst Fenia Xenopoulou, ihres Zeichens Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, der eine undankbare Aufgabe zuteil wird: Dem Naturell nach eher dem Typ dröge Karrieristin zuzuordnen, erhält Xenopoulou den Auftrag, das Image der Kommission aufzupolieren. Eine heikle Mission, denn wie soll man den Menschen den Geist von Europa näherbringen, wenn ein Großteil der Bevölkerung die EU eher mit bürokratischer Reglementierungswut assoziiert?
Mit seinem Schicksal hadert Kommissar Brunfaut, der aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen muss. Anders als einem Krimiautor geht es Menasse aber nicht um die Aufklärung eines Mordes, sondern um die Vertuschung. Er habe einen zeitgenössischen Epochenroman schreiben wollen. „Da kann ich nur schreiben, was ist.“