Die provokante Grenzgängerin
Elfriede Jelinek beschreitet in ihren Werken stets neue sprachliche Wege. Am Donnerstag wird die Schriftstellerin 65 Jahre alt.
Wien. Auf deutschsprachigen Bühnen ist sie präsent wie wenige andere: Im Juni wurde zum 15. Mal ein Text von ihr zum „Stück des Jahres“ gekürt, zuletzt brachte sie einen Theaterabend zu Fukushima auf die Bühne, ihr nächstes Projekt ist ein Theatertext, der den Mythos um Orpheus und Eurydike aus weiblicher Sicht erzählt. Die österreichische Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin (2004) Elfriede Jelinek webt unermüdlich an ihren charakteristischen collageartigen Textflächen. Die Person Elfriede Jelinek dagegen tritt zunehmend hinter die Arbeit zurück. Am Donnerstag wird die Autorin 65 Jahre alt.
Ein Blick auf ihre Homepage elfriedejelinek.com spricht Bände. Hier breitet sie vieles aus, was sie beschäftigt und woran sie arbeitet: Texte zu Musik und Gesellschaft, zum Umsturz in Libyen und über Christoph Schlingensief, auch ihr neuer Roman „Neid“, der gar nicht mehr gedruckt erscheint. Aber näher als an den Bildschirm lässt sie ihr Publikum nicht mehr an sich heran.
Sie äußert sich nicht mehr öffentlich, gibt keine Interviews, nimmt ihre Preise nicht persönlich entgegen. Ihre psychische Labilität, eine Angsterkrankung, hindert sie daran. „Ein Verlorengehen, ohne sich von der Stelle zu rühren“, beschreibt sie selbst ihren inneren Zustand.
Das war lange Zeit anders. „Die Jelinek“ war eine öffentliche Person in Österreich. Eine Hassfigur für die einen vom Schlage eines Boulevard-Kolumnisten, der auf „Jelinek“ gern „Dreck“ reimte. Für die Gegenseite war sie Galionsfigur eines linken, intellektuellen und aufgeschlossenen Österreich, die im Theater, vor allem im Wiener Burgtheater unter Claus Peymann ihr Forum fand.
Die Ambivalenz ist gewaltig: Da ist die bekennende Mode-Fetischistin Jelinek mit auffälliger Selbststilisierung, die Liebhaberin von Horror-Filmen und bekennender „Medien-Junkie“. Da ist die erbarmungslose politische Angriffslust, da sind die fast rauschhaft furiosen Texte. Da ist die zurückhaltende Wienerin, die in Interviews mit schlagfertigem Witz überraschte — und da ist die höchst verletzliche Persönlichkeit Jelinek.
Als ihr eigenes Hauptwerk hat Jelinek oft „Die Kinder der Toten“ bezeichnet. In ihren Werken bringt sie die aus ihrer Sicht „allgegenwärtigen männlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisse“ zur Sprache und verbindet Kunst untrennbar mit gesellschaftspolitischer Stellungnahme. Dabei beschreitet sie gleichzeitig neue sprachliche Wege. Ihre Bühnentexte brachten Regisseure wie Nicolas Stemann, Christoph Schlingensief und Einar Schleef dazu, innovative Theaterbilder zu erfinden.
Ihre pointierten Texte gestaltet die Autorin dabei nicht als politische Pamphlete. In langen, oft über Seiten hinweg absatzlosen Textflächen flicht sie verschiedene sprachliche Ebenen ineinander und entlarvt die Mechanismen, die sie anprangert, durch die Sprache der Akteure und durch Klischees. Dabei geht sie an die Grenzen der Sprache, macht sich die Polemik der Politik oder des Boulevard ebenso zu eigen wie die brachiale Brutalität des Porno.