Die Rückkehr in das einst magische Afghanistan
Ab Dienstag ist der „Drachenläufer“ der neue Fortsetzungsroman der WZ.
Düsseldorf. Sie erlebten eine paradiesische Kindheit: Zwei Jungen, die auf Ästen hockten und die nackten Füße baumeln ließen, in den Hosentaschen Maulbeeren und Walnüsse. Zwei unzertrennliche Freunde, die es im Drachenlaufen allen Konkurrenten aus der Nachbarschaft zeigten. Und unter einem Granatapfelbaum gemeinsam persische Heldengeschichten lasen.
Amir, der angehende Schriftsteller, und Hassan, der Analphabet. Der eine Sohn eines reichen Geschäftsmannes, der andere Sohn des Hausdieners. Afghanistan 1975: ein Bullerbü im Morgenland - lägen die Ereignisse nicht schon in der Luft, die das Schicksal der Jungen und das ihres Landes auf dramatische Weise verändern werden. So schaut Amir untätig zu, wie Assif, ein späterer Talibanführer, Hassan vergewaltigt, weil dieser der ethnischen Minderheit der Hazare angehört. Eine Schuld, die ihn immer begleiten wird.
Khaled Hosseinis Bestsellerroman "Drachenläufer", für das Kino im vergangenen Jahr als Melodram aufbereitet, erzählt die Geschichte einer Freundschaft vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Afghanistans.
Er zeichnet ein Land, das die täglichen Nachrichten in den Medien von immer neuen Anschlägen und immer mehr Opfern in anderem Licht erscheinen lässt. Afghanistan ist plötzlich mehr als ein Krisengebiet in weiter Ferne. Es ist die Heimat von Amir und Hassan, einst magischer Ort mit bizarren Landschaften und orientalischen Früchten, reich an eigener Kultur. So stark der Zauber des Fremden auch wirkt, so unerträglich ist aus abendländischer Sicht allerdings auch die Rolle der Frau.
Wer Hosseinis humanistisches Werk gelesen hat, widmet den Meldungen eine andere Aufmerksamkeit, ja ist betroffen über die Gewalt, die das Land seit dem militärischen Sturz des Königreichs 1973 nicht zur Ruhe kommen lässt. 1979 marschieren sowjetische Truppen ein, es folgt ein langer Guerillakrieg, den die Mudschaheddin mit Hilfe der USA gewinnen. 1992 rufen die Mudschaheddin den islamischen Staat aus.
Innerhalb der Gruppierungen entbrennt ein Bürgerkrieg, beendet durch das radikal-islamistische Regime der Taliban. Der perfekte Ort für die Terrorgruppe Al-Qaida, die hier Trainingscamps einrichtet. Eine internationale Einsatztruppe stürzt nach dem 11. September 2001 zwar die Fundamentalisten, doch auch die Regierung des 2004 vom Volk gewählten Präsidenten Hamid Karsai vermag das von Gewalt und Drogenhandel erschütterte Land nicht zu stabilisieren.
Diese Entwicklung verfolgt Amir aus dem Exil in San Francisco. Sein Gewissen ist selbst in den Vereinigten Staaten, wo er mit Vater und Ehefrau lebt, niemals zur Ruhe gekommen. Der Verrat an dem Freund wiegt zu schwer. Amir reist zurück in das zerstörte Afghanistan, um seine Schuld zu sühnen.