Emils Litfaßsäule - Auf Kästners Spuren durch Berlin
Berlin (dpa) - Dort im Gewimmel der vorbeihastenden Menschen auf der Weidendammer Brücke in Berlin-Mitte muss es gewesen sein. Zwischen Nachtschwärmern und sich müde von der Arbeit nach Hause schleppenden Menschen bauten sich die Freunde „Pünktchen und Anton“ auf.
Schnürsenkel und Streichhölzer boten die Beiden aus Erich Kästners gleichnamigem Buch den Passanten feil - das Mädchen aus reichem Hause und der Junge aus ärmlichen Verhältnissen. Rund 85 Jahre nach dem Erscheinen des berühmten Kinderromans gehört die Gegend um die Weidendammer Brücke immer noch zu den quirligsten, aufreibendsten Orten Berlins. Ein Schauplatz großer und kleiner Dramen des Alltags.
Theaterbesucher strömen zum benachbarten Admiralspalast und ins Berliner Ensemble, in eines der vielen Lokale oder die Shows im Friedrichstadtpalast. Am Bahnhof Friedrichstraße treffen Reisende auf in der Großstadt gestrandete Obdachlose. In den Geschichten des Schriftstellers Erich Kästner (1899-1974) war die Stadt Berlin immer mehr als ein Schauplatz. Die Stadt selbst spielt in Romanen wie „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“ und „Fabian“ eine eigene Rolle. Das beweist der Autor und „Berlinologe“ Michael Bienert in seinem Buch „Kästners Berlin“, in dem er sich auf detaillierte Spurensuche begibt.
„Die großen Romane von Kästner sind alle Berlin-Romane“, sagt Literaturwissenschaftler Bienert. Schon kurz nach dem Erscheinen von „Emil und Detektive“ im Jahr 1929 habe Kästner zu seiner Freude einen Brief von einem Kind bekommen, das mit dem Buch in der Hand die Schauplätze des Romans entdeckt hat. „Das funktioniert immer noch.“ In der Schumannstraße Nr. 15, direkt neben dem Deutschen Theater, wohnten zum Beispiel Emils Großmutter und seine Cousine Pony Hütchen - heute ist das Gebäude aus der Jahrhundertwende immer noch ein Wohnhaus.
Die Litfaßsäule, die auf dem von Walter Trier gestalteten, quietschgelben Origial-Buchcover von „Emil und die Detektive“ zu sehen ist, steht zwar nicht mehr im Original. Doch am selben Platz an der Ecke Bundesallee (früher Kaiserallee)/Trautenaustraße gibt es nach wie vor eine Plakatsäule. Mit vielen historischen Fotos erzählt Bienert in seinem Buch unter anderem von Emils Jagd nach dem Dieb, der ihm im Zug sein Geld geklaut hat.
Die Verfolgung beginnt am Bahnhof Zoo und führt Emil dann zum Schauplatz Café Josty, wo heute ein Bio-Supermarkt ist. Dieb Grundeis vertilgt im Café Eier im Glas. Und Emil trifft auf Gustav mit der Hupe. Kästners Erfolgsroman „Emil und die Detektive“ verkauft sich nach Angaben des Dressler Verlags (Hamburg) heute in Deutschland noch jährlich rund 30 000 Mal.
Seinen Helden aus dem Erwachsenen-Buch „Fabian“ schickt Kästner nach Berlin-Wedding - „auf einen Ausflug vom bürgerlichen Westen in den proletarischen Norden“, wie Bienert mit Texten, Stadtplan und Fotos dokumentiert. Die Hamburger Zeichnerin Isabel Kreitz („Die Sache mit Sorge“) nimmt den Leser mit ihren Comic-Adaption von „Pünktchen und Anton“ und „Emil und die Detektive“ ebenfalls mit in das Berlin Kästners.
Kreitz' farbige Illustrationen orientieren sich bewusst am historischen Vorbild: die Figuren mit den runden, freundlichen Gesichtern und die liebevoll gezeichneten Details aus dem Berliner Alltag erinnern stark an die Bilder von Kästner-Illustrator Trier. Eine weiterer Kästner-Comic werde im Herbst 2016 erscheinen, kündigt Kreitz an. „Das doppelte Lottchen“ spielt dann allerdings nicht in Berlin, sondern in München und Wien.