Plauderstunde mit Paul Sahner und Katze
München (dpa) - „Schulterlange Matte, Seehundschnauzer, Messdienerblick“ - so beschreibt sich Paul Sahner als aufstrebender junger Reporter. „Ich sah aus wie ein Edelhippie.“ Sein Selbstbewusstsein: unerschütterlich.
Seine Gabe: Prominente zum Reden zu bringen und ihnen auch intime Bekenntnisse zu entlocken. Mit Popstar Michael Jackson parlierte er ebenso wie mit Modeschöpfer Karl Lagerfeld, Model-Ikone Cindy Crawford oder Sänger Udo Jürgens.
„Ich hatte sie fast alle!“ lautet deshalb auch der Titel von Sahners Autobiografie, die seit Montag zu kaufen ist. Sie erscheint posthum - der Journalist und Autor starb am 7. Juni überraschend mit 70 Jahren im oberbayerischen Chiemgau.
Berichte über seine Kindheit streut der 1944 im westfälischen Bockum-Hövel (in Hamm) geborene Sahner nur sparsam ein. „Geschichten von Mutter und Vater anno 44 sind ja ganz nett, aber da ist mehr drin“, stellt seine Katze Socki im ersten Kapitel fest und empfiehlt sich als viel bessere Biografin ihres Herrchens.
Sahner („Wie Sahne mit Richard am Ende“) lässt sie gewähren und bettet seine schlaglichtartigen Erinnerungen zwischen Sockis Tagebuch-Notizen und Zwiegesprächen mit seinem Haustier. Und so ist es Socki, die mal kritische, oft aber auch schmeichelnde Worte findet: „Paule ist durch die Beharrlichkeit das geworden, was er ist: eine Reporterlegende.“
Worauf sich dieser Ruf gründet, machen Anekdoten und Fotos über Treffen mit Stars und Sternchen deutlich, die er für das Münchner Boulevardblatt „tz“ ebenso interviewte wie für die Illustrierten „Quick“ oder „Bunte“.
Udo Jürgens vertraute ihm an: „Verführen muss ich die Frauen nie. Allein sie entscheiden, auf wen sie sich einlassen. Sie stehen hinter der Bühne an, meist sind sie sehr jung, und ich kann nicht Nein sagen.“
Und der ebenso geniale wie als extrem schwierig geltende Schauspieler Klaus Kinski beschimpfte ihn angeblich, weil er zum Interview frühmorgens um 6 Uhr fünf Minuten zu spät kam. „Sie dummes Journalistenarschloch! schrie er. Was fällt ihnen ein, mich warten zu lassen, ich bin ein Weltstar.“
Der ehemalige Jet-Set-Star und Schauspieler Helmut Berger habe 1984 gar versucht, ihn zu vernaschen, schreibt Sahner. Die direkten Worte des schönsten Mannes der Welt: „Zieh Dich aus!“. Mit dabei auch die Erinnerung an das vergnügliche Plansch-Bad im Pool des früheren Verteidigungsministers Rudolf Scharping mit seiner Partnerin Kristina Gräfin Pilati.
Durch solche Geschichten hat sich auch Sahner Bekanntheit erarbeitet. Aus Westfalen in die weite Welt nach München, wo die Rolling Stones ebenso logierten wie Rod Stewart, Mario Adorf oder die hübsche Senta Berger: „Endlich kein Provinzfuzzi mehr!“ kommentiert Sahner seinen Einstieg bei der „tz“. Sein neues Dasein führte ihn später in die Chefredaktion des Männermagazins „Penthouse“ ebenso wie in die Chefredaktion der „Bunten“.
„Ich konnte mich gut verkaufen und war mir für nichts zu schade. Im Grunde war ich der typische Straßenköter, kämpfte um meinen Platz im Rudel der Journalisten und steckte meine Nase in buchstäblich alles. Neugier trieb mich an, ich wollte schonungslos aufdecken, Skandale, Geheimnisse, Doppelmoral und Doppelleben“, sagt er und schwärmt von den goldenen Zeiten in den 70er und 80er Jahren, als die Verlage noch genug Geld für Geschichten lockermachten.
Sahner leistete sich seinen dritten Porsche, spielte Tennis mit dem Hochadel und war auf Du und Du mit wichtigen Leuten, die ihm Geschichten zuspielten, etwa von der Liebschaft zwischen dem Prinzen Carl Gustaf von Schweden und der Ex-Olympia-Hostess Silvia Sommerlath - die später ja tatsächlich schwedische Königin wurde.
Sahners Autobiografie liest sich recht amüsant, auch wenn die angeblichen Aufzeichnungen der Katze den Lesefluss hemmen. Nur an einer Stelle greift der Reporter daneben. „Wir brauchen eine Schelmengeschichte in diesem Buch!“, lässt er Socki zu Beginn des neunten Kapitels notieren. Und die spielt in Lampedusa.
„Wenn über diesen Vorposten Italiens berichtet wird, dann geht es um Flüchtlingsdramen, Schiffbrüchige, ertrinkende Menschen, überfüllte Auffanglager“, schreibt Sahner und ruft erschütternde Bilder wach: „Frauen und Männer, die um Hilfe schrien, Bretter im Wasser, an die sich Menschen klammerten, ineinander verhakte Leichen, die in den Fluten trieben.“ Ziemlich banal geht es direkt weiter im Text: „In meinem Kopf spulen sich ganz andere Bilder ab. Ein leuchtend kristallblaues Meer ergießt sich in die unberührten Buchten, gesäumt von traumhaften Stränden mit goldenem Sand.“
Es ist die Zeit, als der Titel-Händler Hans-Hermann Weyer („Konsul“) dort nahe dem sittenstrengen Libyen ein „Sündenbabel“ errichten will und Sahner ihn bei einer Vorbesichtigung dorthin begleitet. Eine „Schnaps- und Sexoase für Ölscheichs“, aus der allerdings nichts wurde.
Besonders stolz ist Sahner auf sein Interview mit dem Dalai Lama, der ihm sein Rezept verriet, um die hohe Geburtenrate in China zu senken: „"Mehr Nonnen und Mönche, die bereit sind, im Zölibat zu leben wie ich." Das spitzbübische Kichern nach diesem Satz hallt bis heute in meinem Kopf nach.“
Während Sahner der deutschen Prominenz ein fester Begriff war, hinterließ er bei Woody Allen wohl keinen Eindruck. Als der Reporter den berühmten New Yorker Regisseur nach einem Interview noch mal traf, fragte er ihn: „Do you remember?“. Allens Antwort machte jede Eitelkeit zunichte: „Should I?“ (Sollte ich?)