Ernst-Jünger-Haus: Dichterleben zu besichtigen
Wilflingen (dpa) - Als wäre der Schriftsteller gerade erst gegangen. Im Bad des Jünger-Hauses hängt noch der Kalender der Kriegsgräberfürsorge von 1998. Damals starb der Weltkriegsdichter Ernst Jünger mit 102 Jahren.
Nach einer Sanierung wurde sein langjähriges Wohnhaus im kleinen Wilflingen (Baden-Württemberg) am Dienstag wieder als Museum eröffnet.
„Es ist eine Gratwanderung. Denn hier hatten auch Besucher Jüngers eigentlich keinen Zutritt“, erklärt Thomas Schmidt zu Räumen wie dem Bad und dem Schlafzimmer. Er ist Leiter der Arbeitsstelle für literarische Museen beim Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Das Archiv hat das Haus gemeinsam mit der Jünger-Stiftung auf Vordermann gebracht.
Schlafzimmer und Bad werden dennoch für das Publikum geöffnet. Denn was wäre das Haus ohne die große, alte Badewanne. Denn hier nahm der Dichter bis zu seinem 100. Lebensjahr jeden Morgen ein kaltes Bad. „Das Soldatische“ habe Jünger damit erhalten wollen, sagt Schmidt.
Das Haus eröffnet passend - denn in drei Jahren beginnen die Gedenkjahre an den Ersten Weltkrieg (1914-1918). Dann soll das Haus auch noch einen erneuerten Überblick über Leben und Werk bieten, der sukzessive in einem eigenen Raum entsteht. Jünger ist ein Thema, wie nicht zuletzt die Dreharbeiten des neuen Films von Volker Schlöndorff zeigen. In ihm wird Ulrich Matthes Jünger verkörpern.
Fotos aus dem Todesjahr halfen bei der Anordnung der rund 9000 Bücher Jüngers. So schreitet der Besucher durch eine Welt, die scheinbar aus der Zeit gefallen ist - die nämlich fast originalgetreu dem Zustand entspricht, in dem Jünger sein Haus verließ. Der 1895 in Heidelberg geborene Dichter hatte die frühere Oberförsterei gegenüber dem Schloss Wilflingen 1951 bezogen.
„Da beginnt die Bibliothek“, sagt Georg Knapp, der letzte Privatsekretär Jüngers, und zeigt auf den Treppenabsatz mit lauter Büchern über Schiffsunglücke. „Ihm war es wichtig, sich einzuleben in die Katastrophe“, erzählt Knapp, der in Jüngers letzten vier Lebensjahren vor allem bei dessen Korrespondenz half - die heute ein großer Schatz des Deutschen Literaturarchivs ist und rund 12 000 Briefe allein an den Dichter selbst umfasst.
Jünger, das ist seiner rekonstruierten Lebenswelt anzusehen, war ein Sammler sondergleichen. Aber nicht von allem und jedem, sondern er war jemand, der ganz bewusst auswählte. Neben den Büchern und Briefen hatten es ihm vor allem Insekten und Käfer angetan. Fein säuberlich hat Jünger rund 30 000 Käfer aufgespießt. „Es ging ihm um das System der Natur“, sagt Knapp. Der oft als kriegsverherrlichender und antidemokratischer Autor Geschmähte orientierte sich dabei stark an der Vorstellung, an den Formen ein System der Schöpfung ablesen zu können.
Gleich daneben baumelt ein getrockneter Kugelfischkörper von der Decke - bevor der Besucher die Räume betritt, wo der Denker und Schriftsteller zu Hause war. In der neuen Ausstellung sind jeweils Zitate auf blauen Stahl-Abstandhaltern angebracht - sie stammen aus Jüngers Schriften, darunter natürlich auch seinem Erstling „In Stahlgewittern“ (1920), wo er seine Erlebnisse des Ersten Weltkriegs verarbeitet - und sie bilden einen passenden, aber nicht zu aufdringlichen Interpretationsrahmen.
Fotos, Sanduhren, Stahlhelme, Erinnerungsstücke, aber auch die Bücher erzählen vom Leben des oft kritisierten Mannes. Sie zeigen auch, dass er zu Lebzeiten bereits mit einer eigenen Zeitrechnung lebte. Aus dem 20. Jahrhundert ist Patrick Süskinds „Das Parfum“ fast das einzige Werk im Studio. Thomas Mann fehlt ebenso wie Günter Grass.
Das Haus gehört übrigens bis heute Jüngers Nachbarn, dem Schlossherrn Franz Schenk Freiherr von Stauffenberg, der sich auf die in frischem Hellgelb strahlende Fassade freut. „Wenn viele Besucher auf einmal kommen, führe ich einen Teil von ihnen erst durchs Schloss, während die anderen ins Jünger-Haus gehen.“ An Ernst Jünger erinnert er sich als angenehmen Nachbarn und Mieter. Er sah ihn fast täglich, wenn Jünger zu seinen ausgedehnten Spaziergängen aufbrach - um Ideen zu sammeln. Oder auch Käfer.