Meisterin der Steinzeit-Soap
Jean M. Auels Bücher über eine Frau aus der Urzeit sind seit 30 Jahren Bestseller — am Dienstag erscheint der letzte Ayla-Band.
London. Alles begann damit, dass Jean M. Auel nicht einschlafen konnte. Es war im Winter 1977, als die Amerikanerin auf die Idee kam, eine Kurzgeschichte über eine junge Frau zu schreiben. Aus der Kurzgeschichte wurden sechs dicke Bücher, aus der jungen Frau Ayla entwickelte sie ein Urmenschen-Mädchen, das unter Neandertalern aufwächst. Drei Millionen Mal verkauften sich die ersten fünf Bände allein in Deutschland. Am Dienstag erscheint der vermutlich letzte Band „Ayla und das Lied der Höhlen“.
Zum Finale bleibt sich die 75 Jahre alte Autorin treu: Auf 1120 Seiten ist Ayla wieder unterwegs im eiszeitlichen Europa, erfindet allerhand nützliche Dinge, muss böse Intrigen überstehen, viele Menschen kennenlernen und in der Ausbildung zur Heilerin rituelle Gedenkstätten besichtigen. Ein ausgedehnter Drogentrip, leidenschaftlicher Sex, rasende Eifersucht und harmonische Versöhnung sind das emotionale Schmiermittel für die prähistorische Seifenoper vor wissenschaftlichem Hintergrund.
Es wäre einfach, Auels Geschichten als seichten Kitsch abzutun — und ungerecht. Millionen Fans lassen sich von dem Leben vor rund 30 000 Jahren faszinieren. Auels Urmenschen sind keine grobschlächtigen Halbaffen, sondern reflektierte Erwachsene, die mit den selben Problemen kämpfen wie die Leser: Liebeskummer, Diskriminierung, Erfolgsdruck, Alkoholismus.
Ist das nicht etwas unrealistisch? Auel lacht. „Unser Bild von Urmenschen ist leider von Hollywood-Klischees geprägt. Die Wissenschaft sieht das ganz anders“, sagt die Autorin in einem Londoner Hotel. Diese gebe ihr den Hintergrund, sie baue ihre Geschichten drumherum.
„Ich habe etwa von einem Neandertaler-Skelett gelesen. Der Mann war von klein an blind auf einem Auge, ein Arm war amputiert. Er war ein Krüppel. Das sind die Fakten. Ich habe dann weiter gedacht: Er konnte nicht jagen mit seiner Gruppe. Wer kümmerte sich um einen Krüppel? Vielleicht jemand, der ihn geliebt hat. So habe ich meinen eigenen Neandertaler-Clan geschaffen.“
Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass „sich unsere Vorfahren um Behinderte und Schwache gekümmert haben“, sagt Auel. Ebenso, dass es keine Kriege gab damals und dass die Medizinmänner schon erstaunliche Dinge konnten. „Die Urmenschen waren keine blutrünstigen Primitiven. Sie waren Menschen wie wir.“
Seit sie vor mehr als 30 Jahren ihren ersten Roman schrieb, ist Auel mit ihrer akribischen Recherche in der Wissenschaft zur anerkannten Urzeit-Expertin geworden. Sie hat Überlebenstrainings in der Wildnis gemacht, gelernt wie man Fell zu Leder macht und Naturheiler befragt. Die Höhlen, die sie beschreibt, hat sie — „selbstverständlich“ — alle besucht.
Dieses schier unerschöpfliche Wissen versetzt Leser auch beim sechsten Ayla-Band in Erstaunen. Ausführlich beschreibt Auel, wie die Urmenschen auf Jagd gehen, ihre Hütten bauen oder Kranke versorgen.
Der ungeduldige Leser des 21. Jahrhunderts dürfte allerdings Mühe haben, sich für die wissenschaftliche Detailfülle zu begeistern. Auch die zahlreichen Wiederholungen erfordern bisweilen Geduld.
Doch Auel hat die Ruhe weg und lässt sich auch mit ihren Büchern stets Zeit, für das jüngste brauchte sie neun Jahre: „Irgendwie ist immer das Leben dazwischen gekommen. Ich habe fünf Kinder, 15 Enkel, acht Urenkel. Ich will manchmal ins Kino gehen oder verreisen. Und ich bin 75 Jahre alt. Da fällt es mir einfach schwer, mich so viele Stunden zu konzentrieren. Aber vielleicht bin ich auch nur faul geworden.“