Serbische Literatur im Aufwind

Leipzig (dpa) - Serbien ist für deutsche Leser meist terra incognita - unbekanntes Land. Die schrecklichen Geschehnisse der Balkan-Kriege sorgten weitgehend für Funkstille.

Nach dem selbstbewussten Auftritt des einstigen jugoslawischen Teilstaats bei der Leipziger Buchmesse hoffen Verlage und Autoren jetzt auf einen Neuanfang. „Die Kultur ist der Reisepass auf dem Weg in die EU“, sagte Vizepremier Bozidar Delic zum Auftakt.

Serbien war erstmals als „Schwerpunktland“ geladen. Rund 60 Autoren stellten ihre jüngsten Werke vor, 30 Titel wurden eigens für die Bücherschau neu übersetzt - es ist das größte Balkanprogramm in Westeuropa seit dem Zerfall Jugoslawiens. Die serbische Schriftstellerin Vida Ognjenovi, zum dritten Mal in Leipzig, freut sich über den Zulauf am serbischen Stand. „Viele Deutsche interessieren sich für uns. Das ist fantastisch“, sagt die 69-jährige Vorsitzende des heimischen P.E.N.-Zentrums. „Wir brauchen mehr Leser - unser Land ist ja so klein.“

Draußen vor den Messehallen stehen Demonstranten mit einem Plakat „Völkermord in Srebrenica“, drinnen erinnert eine Ausstellung an den großen serbischen Schriftsteller Ivo Andric, der vor 50 Jahren den Literaturnobelpreis erhielt. In diesem Spannungsfeld müssen sich die neuen literarischen Stimmen aus Belgrad behaupten. „Bei uns ist das Bild der einseitigen serbischen Schuld leider immer noch recht lebendig“, sagt die Slawistik-Professorin Gabriella Schubert aus Jena. „Diese Veranstaltung ist ein wichtiger Anfang, Vorurteile abzubauen.“

Dafür werben auch die Autoren, die sich in Leipzig vorstellen. „Die zeitgenössische Literatur aus Serbien, die wir euch vorlegen, hat etwas zu sagen - und sagt über uns eben soviel aus wie über euch“, so formuliert es Sreten Ugricic (49), Leiter der Nationalbibliothek Serbiens in Belgrad, der mit seinem entlarvenden Roman „An einen unbekannten Helden“ (Dittrich) nach Leipzig gekommen ist.

Andere Autoren wie Bora Cosic, Vladimir Pistalo oder der große Erzähler David Albahari nehmen ihr Land von außen in den Blick. Der 63-jährige Albahari, der mit Romanen wie „Mutterland“, „Götz und Meyer“ und „Die Ohrfeige“ international bekanntwurde, wählte 1994 freiwillig die „Entwurzelung“ und lebt seither im kanadischen Exil. Zur Messe erschien sein neuer Prosaband „Die Kuh ist ein einsames Tier“ (Eichborn) mit mehr als 100 kafkaesken Minigeschichten, Skizzen und Aphorismen in seiner wunderbar schnörkellosen Sprache.

„Schriftsteller in Serbien haben heute in jedem Fall mehr Freiheit als früher, auch wenn die wirtschaftliche Lage schrecklich ist“, sagt er in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Nach Einschätzung von Programmkoordinatorin Elena Messner hat sich trotz anhaltender Schwierigkeiten ein buntes und sehr lebendiges literarisches Leben im Land entwickelt. „Natürlich sind sehr viele Bücher extrem von Politik und Geschichte dominiert“, sagt sie, „aber es gibt auch zunehmend die individuellen kleinen Dramen, Gender- und Szene-Geschichten.“

Zu den Romanübersetzungen, die in Leipzig besondere Aufmerksamkeit fanden, gehören Milovan Danojlics Briefroman „Mein lieber Petrovic“ (1986, Suhrkamp), ein Abgesang auf den Vielvölkerstaat Jugoslawien. Der heute 79 Jahre alte Bora Cosic, 2002 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet, lässt in seiner Geschichtensammlung „Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten“ (Folio) einen zehnjährigen Jungen die für Jugoslawien verhängnisvollen Weltkriegsjahre erleben. Und Goran Petrovic schickt in seinem preisgekrönten Buch „Die Villa am Rande der Zeit“ (dtv) den Studenten Adam auf eine fantastische Bücherreise.

Besonders stolz aber sind die Serben bis heute auf ihren Literaturnobelpreisträger Ivo Andric. Sein Meisterwerk „Die Brücke über die Drina“ (Suhrkamp) erschien ebenfalls in einer neuen Übersetzung. Und an dem Stand mit den vielen Fotos nachgeborener Autoren mahnt sein Credo: „Von allem, was der Mensch in seinem Lebensdrang errichtet, ist in meinen Augen nichts besser und wichtiger als Brücken.“