Falladas Briefwechsel sorgt für Furore
Jerusalem (dpa) - Einen besseren Arbeitsanfang kann man sich eigentlich kaum wünschen. Gleich am zweiten Tag seiner Anstellung in der Jerusalemer Nationalbibliothek stieß der deutsche Archivar Stefan Litt vor zwei Monaten auf einen seltenen literarischen Schatz:
Die bisher unbekannte Korrespondenz des deutschen Autors Hans Fallada mit dem jüdisch-österreichischen Schriftsteller Carl Ehrenstein aus der NS-Zeit. „Ich war verdutzt, weil ich eine Akte sah, die nicht im Katalog erschien“, beschreibt der 41-Jährige den überraschenden Fund. „Das war die Akte von Fallada.“
Der Andrang bei einem Fallada-Themenabend in der Hebräischen Universität am Dienstagabend ist schon enorm: Hunderte von Besuchern sitzen dicht gedrängt im Saal, es kommt sogar zum Streit über Stühle. Viele kommen erst gar nicht rein und müssen schließlich auf der Treppe sitzen. Die Briefe, die nach und nach ins Netz gestellt werden sollen, sind neben einer Bühne in einer Glasvitrine ausgestellt.
Der in Ost-Berlin geborene Litt hat mit seinem Fund doppelt Glück: Das Interesse ist wohl nur deshalb so groß, weil Fallada zuletzt eine so erstaunliche internationale Renaissance erlebt hat. Wie in der englischsprachigen Welt ist sein Anti-Nazi-Buch „Jeder stirbt für sich allein“ auch in Israel in der hebräischen Übersetzung („Allein in Berlin“) ein Bestseller, mehr als 60 Jahre nach seinem ersten Erscheinen. In Deutschland ist das Buch gerade zum ersten Mal in ungekürzter Fassung erschienen, der Aufbau-Verlag wollte es am Mittwochabend in Berlin in Originalfassung vorstellen. Litt beschreibt die neuerwachte Begeisterung für den Autor, der 1947 starb, sogar als „Fallada-Manie“.
„Noch vor zwei Jahren hätte niemand viel Aufhebens um die Briefe gemacht“, sagt Litt, der seit 1995 in Israel lebt und perfekt Hebräisch spricht. Der drogen- und alkoholsüchtige Fallada beschränkt sich in den am 3. Januar in Jerusalem gefundenen Briefen auf Privates, beschreibt seine Krankheit, seine Ängste und seine Isolation. „Er wusste, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegt“, sagt Litt auf der Bühne.
Carl Ehrenstein, der jüngere und literarisch weitgehend erfolglose Bruder des bekannteren expressionistischen Dichters Albert Ehrenstein, lebte seit 1928 in London und verdiente sein Geld als Bankier und Literaturagent. Nach seinem Tod 1971 übergab seine Witwe seine Korrespondenz an die Jerusalemer Bibliothek, wo sie jedoch „zwischen den Regalen verschwand“, wie Litt es beschreibt.
Die Briefe sind auch deshalb ungewöhnlich, weil im deutschen Hans-Fallada-Archiv keine Kopien von ihnen existieren. Eigentlich hatte Fallada von allen seinen Schreiben Durchschläge angefertigt und aufbewahrt. Doch der Briefwechsel aus den Jahren 1934 bis 1938 ist in Deutschland nicht dokumentiert. Der Grund dafür könnte die Gefahr sein, die eine Korrespondenz mit einem Juden in Großbritannien während der NS-Zeit bedeutete. „Er musste sehr aufpassen, was er schreibt“, sagt Litt.
Die gefährliche Korrespondenz brach denn auch jäh ab: Im Dezember 1937 schrieb Fallada den letzten Brief an den jüdischen Literaturagenten in London. „Danach gab es kein Lebenszeichen mehr“, sagt Litt. 1938 schrieb Ehrenstein noch mehrmals an Fallada und versuchte es zuletzt sogar unter dem Pseudonym „C.E. Pease“ - seine Initialen mit dem Mädchennamen seiner Frau - auf Englisch. „Vielleicht glaubte er, er könnte so die Zensur in Deutschland umgehen“, meint Litt. Doch es kam keine Antwort mehr aus Falladas Heimatort Carwitz in Mecklenburg-Vorpommern.
1947 versuchte Ehrenstein noch, in England einen Verleger für Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ zu finden. Dort war man aber nicht beeindruckt von dem Werk, das den Widerstand eines deutschen Paares gegen die Nationalsozialisten beschreibt. Fallada, der den Roman basierend auf Gestapo-Akten in 24 Tagen geschrieben hatte, habe offenbar „seine Inspiration verloren“, schrieb der zuständige Lektor des Putnam-Verlags kühl an Ehrenstein.
Ein Werk über den Widerstand kleiner Leute in Deutschland widersprach offenbar dem damaligen Zeitgeist. Es ist eine ironische Wende, dass der Penguin-Verlag, zu dem Putnam heute gehört, inzwischen an den Rechten für Falladas späten Bestseller beteiligt ist.
Litt sucht jetzt nach neuen Schätzen in dem fast 120 Jahre alten Archiv in Jerusalem, auf einen weiteren „Fallada“ wagt er aber nicht zu hoffen. „Das ist ein absoluter Glücksfall“, sagte der Berliner am Mittwoch. „Das passiert einem einmal im Leben und nicht wieder.“