Finale einer großen Erzählerin

„Liebes Leben“: Die 14 Kurzgeschichten sind das wohl letzte Buch der kanadischen Nobelpreisträgerin Alice Munro (82).

New York. Der Nobelpreis kam pünktlich zum Schluss. Gerade hatte Alice Munro verkündet, dass „Liebes Leben“ ihr letztes Buch sein werde, da kam die Nachricht aus Oslo. „Ich werde wahrscheinlich nicht mehr schreiben“, hatte die 82-Jährige zuvor der kanadischen Zeitung „National Post“ gesagt. Mit der Entscheidung sei sie sehr zufrieden. „Ich bin hocherfreut. Es ist nicht so, dass ich das Schreiben nicht geliebt habe, aber man kommt in eine Phase, wo man über sein Leben irgendwie anders denkt.“

Anfang Dezember erscheint nun in Deutschland „Liebes Leben“, das im Original („Dear Life“) bereits seit Herbst 2012 erhältlich ist. Eigentlich sollte das wohl letzte Buch der kanadischen Neu-Nobelpreisträgerin erst 2014 in Deutschland herauskommen, aber nach der Entscheidung aus Oslo zogen die Fischer Verlage den Termin vor — rechtzeitig für das Weihnachtsgeschäft.

„Liebes Leben“ ist Alice Munro pur — und Fans hoffen nun, dass die so plötzlich im grellen Scheinwerferlicht stehende Autorin es sich vielleicht doch noch einmal anders überlegt und weitermacht.

14 neue Kurzgeschichten hat die Meisterin der Gattung für „Liebes Leben“ geschrieben und sie wird dabei persönlich wie nie zuvor. „Finale“ nennt sie die letzten vier Geschichten des Buches, vielleicht als weiteren Hinweis auf ihren Abschied. „Die letzten vier Arbeiten in diesem Buch sind nicht so richtig Geschichten“, schreibt sie dazu als Einleitung.

„Sie formieren eine separate Einheit, eine die sich autobiografisch anfühlt, aber den Fakten nach nicht immer ist. Ich glaube, sie sind die ersten und letzten — und die persönlichsten — Sachen, die ich über mein eigenes Leben zu sagen habe.“

Und dann berichtet sie von ihrer Kindheit und ihrem Aufwachsen, von peinlichen Erlebnissen mit ihrer Mutter, dunklen Gedanken und weiten, leeren Landschaften. Die „separate Einheit“ fügt sich trotz allem Autobiografischen problemlos in den Erzählungsband ein, schließlich spielen fast alle Geschichten Munros in ihrer kanadischen Heimat, die meisten in ihrer Heimatprovinz Ontario und führen den Leser ganz nah an das Leben der Charaktere heran. Aber diesmal lässt die große Dame der kleinen Geschichten ihre Leser noch ein bisschen näher auch an sich selbst heran.

Ansonsten bietet der inzwischen 13. Sammelband mit Kurzgeschichten wieder Munro in all ihren Facetten. Auf meist nur rund 30 Seiten schafft sie es, den Leser tiefer in die Geschichte zu ziehen, ihn enger mit den Charakteren zu verbinden und tiefer zu berühren, als so mancher dicke Roman.

Die Geschichten lesen sich schnell und bleiben dennoch oder gerade deswegen lange im Gedächtnis hängen. Bleibt für Fans nur die Hoffnung, dass Alice Munro sich vielleicht doch noch einmal umstimmen lässt — und noch mehr solcher Kurzgeschichten zaubert.