Großes Kino: Stuckrad-Barre startet Lesetour

Hamburg (dpa) — Nebelschwaden ziehen über die Bühne. Eigentlich erwartet das Publikum Benjamin von Stuckrad-Barre, wie er mit seinem Buch unterm Arm auf einem der drei Stühle hinter dem Tisch Platz nimmt.

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Doch dann steht überraschend ein anderer da: Udo Lindenberg. Der Panikrocker singt eine wunderbare Ode auf die Freundschaft: „Ich schwöre, wenn's drauf ankommt, bin ich für dich da“, heißt es in dem Song. Am Schluss des Liedes schickt der Altrocker ein eindeutiges Bekenntnis zum Protagonisten des Abends: „Lieber Stuckiman, ich schwöre, wir sind immer am Start“, nuschelt das Oberhaupt der Panikfamilie und erntet Beifall.

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Passender hätte die Premiere der Lesung von Benjamin von Stuckrad-Barre am Montagabend in der ausverkauften Hamburger Markthalle nicht beginnen können. Denn die Verbundenheit zu Lindenberg als Mensch und als Künstler zieht sich wie ein roter Faden durch sein neues Buch „Panikherz“. Mit der autobiografischen Erzählung hat sich der als Popliterat bekannt gewordene Autor („Soloalbum“) nach jahrelanger Pause zurückgemeldet. Unverblümt schildert er darin seinen steilen beruflichen Aufstieg in den Neunzigern und den darauffolgenden Absturz in Bulimie und Drogensumpf, der in Hamburg endete.

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„Es ist für mich wahnsinnig aufregend, zurück in Hamburg zu sein“, sagte der 41-Jährige Schriftsteller, nachdem er zur Begrüßung quer durch den Publikumsraum gerannt war. „Vor zehn Jahren habe ich noch am Hamburger Hauptbahnhof gelegen, heute liegt dort mein neues Buch.“ Für seine Lesetour, die ihn bis zum 21. April noch in Städte wie Berlin, München, Dresden, Hannover und Osnabrück führen wird, stehen dem Zigarette rauchenden Stuckrad-Barre an diesem Abend Schauspieler Christian Ulmen sowie Element-Of-Crime-Sänger und Autor Sven Regener zur Seite, die er Freunde nennt.

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In den nächsten zweieinhalb Stunden liest sich das Trio abwechselnd durch den 576 Seiten starken Schmöker — und es geht gut los: Mit dem Kapitel „Spießertrance“, in dem eine Einladung zum 20-jährigen Abitreffen abgehandelt wird, die bei Stuckrad-Barre Selbstzweifel und Panikattacken auslöst. „Mit Ende 30 hat dein Leben fertig zu sein“, bringt er den gesellschaftlichen Druck auf den Punkt.

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Dennoch ist es überaus unterhaltsam, wenn er im Kopf Begegnungen mit ehemaligen Mitschülern vorwegnimmt. Das klingt dann so: „Wer sagt: "Du hast dich ja echt kaum verändert", möchte genau das über sich selbst hören, und zwar schnell.“ Oder auch: „Wer fragt: "Hab ich denn deine Kontaktdaten?", hat einen Scheißjob...“ Dutzende solcher witzig-tragischen Sätze, die bei ihm nie ins Flache abgleiten, kettet er aneinander und hat damit die Lacher auf seiner Seite. Jeder im Publikum fühlt sich an der einen oder anderen Stelle ertappt. Es ist schon fast eine Sozialstudie, die er da in Wörter gegossen hat.

Stuckrad-Barre erzählt davon, wie ihn als Zwölfjähriger Lindenbergs Lied „Da war so viel los“ dazu motivierte, es beruflich weit zu bringen. Während man dem Kapitel über seinen Karriereaufstieg lauscht, fragt man sich, ob es Glück, Talent, Verstand oder doch eher die Dreistigkeit war, die ihm zum Durchbruch verhalf. Als „Pressereferent-Praktikant mit Generalvollmacht“ für eine Fernsehshow von Friedrich Küppersbusch angelte er sich seinen ersten Buchvertrag; Entertainer Harald Schmidt stellte ihn als Gagschreiber ein, nachdem er die Rohfassung gelesen hatte. Der rosigen Zukunft stand nichts im Wege.

Erst wurde er Workaholic, dann magersüchtig. Es kam das Kokain, die Depression und die Pleite. Stuckrad-Barre war ganz unten angekommen — aber seine Pastorenfamilie und der Panikrocker fingen ihn auf. Und nun ist er wieder da und freut sich diebisch, als er verkündet: „Heute Nachmittag habe ich erfahren, dass ich die Nummer 2 der Charts bin!“ Man sieht in ihm noch einmal den zwölfjährigen Jungen, der zu Udos Platten große Träume träumte.

Und es scheint, als könne er den Erfolg heute viel mehr genießen: „Ich werde gleich noch signieren und berühren“, sagt er. Jedoch nicht, bevor er in der Zugabe davon erzählt, wie Udo und er es trotz sonderbarem Auftritts durch die amerikanischen Grenzkontrollen schafften. „Gehören Sie zu ihm?“, hatte der Grenzposten Stuckrad-Barre damals gefragt. Seine Antwort und jede Menge Jubel beschließen den Abend: „Ich gehöre zu Udo, so viel ist sicher.“

Benjamin von Stuckrad-Barre: „Panikherz“. Kiepenheuer & Witsch, 576 S., 22,99 Euro, ISBN: 978-3-462-04885-8