Heinz Rudolf Kunze: Schreiben ist lebensnotwendig

Frankfurt/Main (dpa) - Der Musiker und Schriftsteller Heinz Rudolf Kunze stellt auf der Frankfurter Buchmesse unter dem Titel „Vor Gebrauch schütteln“ Gedanken und Beobachtungen zu Musik, Philosophie und Alltag vor.

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa gibt der 54-Jährige Einblick in seine Arbeitsweisen und verrät, dass er von einem großen literarischen Wurf träumt.

Herr Kunze, wann machen Sie lieber Musik und wann eher ein Buch?

Kunze: „Ich finde, das sind alles Gliedmaßen an ein- und demselben Körper. Ob ich nun etwas für ein Buch schreibe oder schon beim Schreiben weiß, das wird ein Lied werden, macht keinen großen Unterschied in meiner inneren Verfasstheit. Das entscheide nicht ich als Autor, sondern das entscheidet die Sprache selber, die mir sich gerade aufdrängt, ob sie nun gereimt und gestropht sein will und nach Vertonung schreit oder ob es eigentlich eher prosaisch durchlaufen soll und dann eher in ein Buch gehört.“

Wie arbeiten Sie als Schriftsteller?

Kunze: „Ich habe Antennen, da kommt etwas hinein, und ich bin derjenige, der es umsetzen muss, wie ein Medium manchmal. Das ist schon eine ziemlich kontinuierliche Sache. Irgendetwas auf dem Papier oder mit einem Instrument passiert eigentlich jeden Tag. Ein Buch zu machen, bedeutet für mich nicht, ich setze mich bei Null hin und entwerfe eins, sondern aus diesem Kontinuum von Schreiben schneide ich einfach ein Stück raus, als wenn man aus einem Fluss ein Stück rausschneiden könnte. Von da bis da, das ist das Buch.“

Dann ist Schreiben also ein Lebensbedürfnis für Sie?

Kunze: „Ja, es gehört zu den täglichen Verrichtungen wie Verdauen und Atmen dazu.“

In ihrem Buch „Vor Gebrauch schütteln“ kommt ein gewisser Trubschacher vor. Wer ist das?

Kunze: „Im Grunde ist das nur eine Spielerei, weil der ab und zu eingeschobene Trubschacher den Leser verwirren soll und so tun soll, als ob das Buch einen roten Faden hätte, den es nicht hat (lacht). Der Trubschacher muss manchmal besonders böse oder zornige Sachen sagen, die ich selber nicht unterschreiben will. Als Mensch bin ich eher brav. Aber wenn man das liest, da stehen manche ganz schön ungeheuerliche Behauptungen drin. Auf dem Papier oder auf dem Tonträger bin ich wesentlich konsequenter denn als Mensch.“

Lieben Sie dann auch Ihr Werk mehr als sich selbst?

Kunze: „Auf jeden Fall (lacht). Liebe deine Werke mehr als dich selbst. Das ist ein schönes neues Grundgebot.“

Im Untertitel Ihres Buch heißt es: „Kein Roman“. Wollen Sie denn mal einen Roman schreiben?

Kunze: „Ich will hoffen, dass dies noch mal passiert - obwohl ich eigentlich nicht mehr an die Form des Romans glaube. Ich finde, der Roman ist tot. Und das ist ja ein Zeichen der verrückten kulturellen Situation unserer Zeit, dass lauter tote Formen weitergepflegt werden, die es eigentlich gar nicht mehr geben kann.“

Das haben Sie gemeinsam mit einigen Internet-Künstlern, die nur noch das Netz gelten lassen wollen.

Kunze: „Ich hänge nur wahrscheinlich noch sehr an den Toten. Ich bin da nekrophiler als diese Jungs (lacht).“

Interview: Peter Zschunke, dpa