Hellmuth Karasek: Der Kritiker ist von den Socken
Bei seinen Lesereisen erlebt Hellmuth Karasek Schönes und Skurriles. Manchmal ist er „unten ohne“ unterwegs.
Berlin. Auch berühmte Kritiker vergessen manchmal ihre Socken. Vor allem auf Reisen. Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek hat auf seinen Reisen durch Deutschland vom Handy bis zur Kleidung vieles zurückgelassen.
Das erzählt er jedenfalls in seinem neuen Buch „Auf Reisen. Wie ich mir Deutschland erlesen habe“. Die Tücken des Alltags sind dabei aber nur ein Aspekt: Karasek erzählt im Grunde alles aus seinem Leben. Von seiner ersten Lesung in Ostfriesland über seine Freundschaft mit Rudolf Augstein bis hin zu dem Tag, an dem man ihn für den Kriegsverbrecher Radovan Karadzic hielt.
Das Problem von Literaturkritikern oder Schriftstellern ist ja oft, dass man ihre Namen zwar kennt, nicht aber die Gesichter dazu. So kommt es schon mal zu Verwechslungen, von denen Hellmuth Karasek schon einige erlebt hat. In besseren Momenten hielt man ihn für Nobelpreisträger Günter Grass — in schlechteren für Karadzic: „Man kann es sich nicht immer aussuchen, dachte ich.“
So gelassen es der 79-Jährige hinnimmt, dass man ihn verwechselt, so tapfer nimmt er auch seinen ersten Leseabend hin. Er hatte damals in Emden zwei Zuhörer — die Vorlesung entfiel. Wie ein gutmütiger Großvater wirkt der bisweilen scharfzüngige Kritiker dagegen, wenn er einer Zehnjährigen nach einer Lesung nicht nur ein Autogramm, sondern auf Wunsch gleich noch eine Entschuldigung für die Schul-Hausaufgaben schreibt — wegen der langen Lesung.
So ist „Auf Reisen“ weniger ein Reisetagebuch als ein Schwelgen in Erinnerungen aus Karaseks schillerndem Leben. Ein Text über Zürich etwa reicht von Berühmtheiten, die dort früher verkehrten über den BSE-Skandal bis hin zu einem Exkurs von einer Welt mit und ohne Kreditkarten — „Spiegel“-Gründer Augstein schien wohl keine gehabt zu haben.
Diese Exkurse und Gedankensprünge können mitunter anstrengend sein, andererseits: Karasek hat als eine von Deutschlands Kulturgrößen eben viel erlebt. Und so besteht sein Können wohl auch darin, aus alldem Geschichten zu stricken.
Selbstironisch erwähnt Karasek jedenfalls, was „Zeit“-Kolumnist Martenstein einst über ihn veröffentlichte: „Im Büro sagten sie: Karasek, als er noch bei uns arbeitete, hat jede Woche sein Handy verloren. Das machte ihm gar nichts aus, im Gegenteil: Er hat sofort ein Buch darüber geschrieben.“