„Jahre mit Ledig“ von Fritz J. Raddatz erschienen
Berlin (dpa) - Am Donnerstag starb der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz - sein Buch „Jahre mit Ledig“, am Freitag erschienen, wirft noch einmal ein grelles Schlaglicht auf das abenteuerliche und reichhaltige Leben von „Fritzchen J.“.
Das - nach den zuvor erschienenen beiden umfangreichen Tagebuchbänden - relativ schmale Buch gibt seine Erinnerungen an die turbulenten Jahre im Rowohlt-Verlag wieder, an der Seite des exzentrischen Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt (1908-1992).
Vor allem ruft es eine Seite des Literaturkritikers in Erinnerung, die über seinem Wirken als einflussreicher Feuilletonchef der „Zeit“ und Publizist etwas in Vergessen geraten ist: Raddatz war an der Seite seines Verlegers einer der wohl wirkungsmächtigsten Verlagsleiter der Bundesrepublik, mit politischem Engagement ebenso wie mit literarischem Fingerspitzengefühl auch für internationale Autoren. Rowohlt habe ihm „nahezu gänzlich die literarische Führung des Verlages“ überlassen.
Raddatz verkörperte eine selten gewordene Spezies in der deutschsprachigen Verlagslandschaft. Er setzte gegen heftige Widerstände Anfang der 60er Jahre die Veröffentlichung von Rolf Hochhuths kritischem Vatikan-Drama „Der Stellvertreter“ durch und initiierte die Rowohlt-Taschenbuchreihe „rororo aktuell“. Sie schrieb Geschichte mit Autoren wie Rudi Dutschke und dem bis dahin unbekannten persischen Autor Bahman Nirumand über die Diktatur des Schahs von Persien aus Anlass von dessen Deutschland-Besuchs 1967 (mit dem Tod des Demonstranten Benno Ohnseorg). Das Buch war einer der Zündfunken für die 68er Studentenrevolte.
Dazu gehörte auch der erste Titel der Reihe, „Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?“ mit Herausgebern wie Martin Walser, Siegfried Lenz und Günter Grass. Im Sommer 1968 sei Ledig, so erinnerte sich Raddatz, in sein Zimmer gestürmt mit den Worten: „Raddatz, wenn Sie das auch noch schaffen, diesen Cohn-Bendit für Ihre aktuelle Reihe zu gewinnen, dann gehört Ihnen der Verlag!“
Der Vorfall zeigt eine der schillernden Seiten des Rowohlt-Verlegers Ledig, dem Raddatz viel zu verdanken hat und dem er daher mit seinem Buch auch zu Recht ein Denkmal gesetzt hat. Es ist ein ebenso liebevolles wie kritisches Bild einer publizistischen „Ehe“ nach dem Motto „Sie küssten und sie schlugen sich“, die für die Verlagslandschaft der Bundesrepublik ungemein befruchtend war, die aber schließlich im Schmerz endete. „Es hilft nichts, lieber Raddatz, wir müssen 9 Jahre guter Zusammenarbeit begraben“, schrieb Rowohlt 1969 in seinem Abschiedstelegramm.
Und was war das für eine Zusammenarbeit, in der Raddatz eine Freiheit genoss wie wohl kaum ein anderer Programmchef eines Verlages inklusive vieler Privilegien und mit viel Champagner, der bei Raddatz eine große Rolle spielte. Dazu gehörten viele erinnernswerte Begegnungen und Ereignisse, wie zum Beispiel das denkwürdige Essen mit Marlene Dietrich in einem Pariser Nobel-Restaurant auf deren ausdrücklichen Wunsch „mit Matjes und Bratkartoffeln und Molle mit Korn“.
Aber irgendwann dämmerte es Raddatz nach der soundsovielten Party auch: „Für mich waren es Rowohlt-Abende, Rowohlt-Gäste gewesen, und tatsächlich wären ja auch all die Dönhoffs und Liebermanns und Gaus'ens nicht zum 'privaten' Herrn Raddatz gekommen. Wieder die falsche Idee, Figur und Firma könnten identisch sein.“ Immer öfter stößt Raddatz auch die zunehmende Trinkerei, „oft Abend für Abend“, mit Rowohlt ab.
„Letztlich war er einsam“, ein „warmherziger Distanzvermesser“, meinte Raddatz, über seinen Verleger und dabei wohl auch über sich selbst nachdenkend. „Die Törichten wähnten, sie wären ihm nahe“, schreibt er. „Wir haben uns nie auch nur die Hand gegeben, blieben beim 'Sie'.“ Aber „ich habe ihn geliebt“, wie Raddatz im Nachruf 1992 schrieb. Allein die „Jahre mit Ledig“ müssen ein reiches und erfülltes Leben gewesen sein.
Aber „irgendwann muss Schluss sein“, meinte Raddatz vor wenigen Wochen in einem Interview. „Ich will nicht überleben. Man soll aufhören, wenn es noch geht. Dieses Ledig-Buch ist mein letztes Buch.“ Er habe noch zwei fertige Manuskripte, die lägen bei seinem Nachlassverwalter. „Das war's. Es ist genug.“
- Fritz J. Raddatz, Jahre mit Ledig. Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg, 160 S., 16,95 Euro, E-Book 14,99 Euro, ISBN 978-3-498-05798-5