Jürgen Becker erhält den Georg-Büchner-Preis

Darmstadt (dpa) - Jürgen Becker ist überrascht, als er erfährt, dass er den Georg-Büchner-Preis 2014 bekommt. „Ich habe weder damit gerechnet, noch darauf gewartet“, sagt der 81-Jährige.

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Er freue sich, dass sein Werk durch die wichtigste literarische Auszeichnung im deutschsprachigen Raum „für einen Augenblick mehr in den Vordergrund rückt“.

Gleichzeitig mache ihn der Preis verlegen, gibt der Schriftsteller zu, der sich als Lyriker, Prosa-Autor und Verfasser von Hörspielen einen Namen machte. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung begründete die mit 50 000 Euro verbundene Ehrung damit, dass Becker in seinem über Jahrzehnte gewachsenen Werk „die Gattungsgrenzen von Lyrik und Prosa beharrlich neu vermessen und verändert“ habe.

Becker schrieb seine ersten Texte Anfang der 1950er Jahre, nachdem er in einer Mainacht unglücklich verliebt im Birnbaum seiner Großeltern gesessen hatte. „Da gingen mir plötzlich Verse durch den Kopf. Ich bin in mein Zimmer gegangen und habe sie aufgeschrieben“, erzählt der gebürtige Kölner. Von diesem Moment an habe er ein enormes Ausdrucksverlangen gehabt. „Das war etwas, das in mir drin ist. Da will etwas zur Sprache kommen, da will etwas ausgedrückt werden“, sagt er zu seiner Motivation.

Nach einem abgebrochenen Studium der Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte und Germanistik wurde Becker 1964 Lektor im Rowohlt Verlag. Im gleichen Jahr erschien sein erster Prosaband „Felder“, in dem er verschiedene Gattungen miteinander vermischte. Auch mit seinen Bänden „Ränder“ (1968) und „Umgebungen“ (1970) wurde er als Verfasser experimenteller Literatur bekannt. Damit habe er versucht, seine „eigene Stimme“ zu finden und sich freizumachen.

„Dabei waren mir plötzlich die Gattungen im Wege. Die Vorentscheidung, dass ich sagen musste, ich schreibe ein Gedicht oder ich schreibe ein Prosastück“, sagt der 81-Jährige rückblickend. Auch deshalb würdigte Literaturkritiker Denis Scheck Becker nach der Bekanntgabe des Büchner-Preises als „großen Avantgardisten und Revolutionär der Prosaform“. Ihm gelinge eine hervorragende Balance „zwischen der Aufbewahrung historischer Erinnerungen und dem Aufbrechen etablierter Prosa- und Lyrikformen“.

Beruflich machte Becker erst als Leiter des Suhrkamp Theaterverlags und - von 1974 bis 1994 - als Leiter der Hörspielredaktion des Deutschlandfunks Karriere. „Das war so ein Doppelleben. Tagsüber die Studioarbeit und dann abends und am Wochenende schrieb ich dann weiter. Aber dann war oft nicht die Zeit da, um größere Sachen zu schreiben. Es blieb aber in jedem Fall Zeit für ein Gedicht“, erzählt der 81-Jährige.

Nach 1990 setzte Becker sich intensiv mit seinen Kinderjahren in Thüringen auseinander, wo er von 1939 bis 1947 lebte. „Je älter ich werde, hat die Kinderzeit eine immer stärkere Bedeutung bekommen. Vor allem mit dem Fall der Mauer und der Deutschen Einheit. Das hat mich sehr verändert“, sagt er. Bereits vor dem Mauerfall hatte er 1988 im „Gedicht von der wiedervereinigten Landschaft“ an Thüringen erinnert. Es folgten unter anderem 1993 sein Gedichtband „Foxtrott im Erfurter Stadion“ und 1999 der Roman „Aus der Geschichte der Trennungen“. 2012 erschien Beckers „Scheunen im Gelände. Gedichte mit Collagen von Rango Bohne“. Zu seinem 80. Geburtstag kam zudem mit „Wie es weiterging. Ein Durchgang.“ eine Auswahl von Prosawerken aus fünf Jahrzehnten heraus.

Becker erhielt vor dem Georg-Büchner-Preis zahlreiche Auszeichnungen wie die Literaturpreise der Städte Köln, Bremen, Berlin und Düsseldorf oder den Heinrich-Böll-Preis und den Schiller-Ring. Aber auch den Preis der legendären „Gruppe 47“ bekam er kurz vor der Auflösung des Schriftsteller-Treffens. An die Gruppe erinnert sich Becker heute gerne: „Da habe ich vieles gelernt wie Kollegialität und Respekt vor der Arbeit des Anderen. Das war eine bestimmte Zeit, die sich nicht wiederholen lässt“, erklärt er.

Eine Auszeichnung wie der Georg-Büchner-Preis, der am 25. Oktober 2014 in Darmstadt verliehen werden soll, verändere ihn als Autor aber nicht. „Für mich selber und mein Schreiben kann und soll so etwas keine unmittelbare Wirkung haben“, sagt Becker. Auch nicht auf sein neues Buch, an dem er gerade arbeitet. Es sei ein Journalroman der „Augenblicke und Erinnerungen“ mit dem Titel „Was wir noch wissen“. Noch in diesem Jahr möchte Becker es fertigstellen.