Jürgen Habermas mit Heine-Preis ausgezeichnet
Düsseldorf (dpa) - Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat am Freitag in Düsseldorf den mit 50 000 Euro dotierten Heine-Preis für sein Lebenswerk entgegengenommen.
In seiner Dankesrede rügte Habermas, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen der Gegenwart, den „Kleinmut“ der heutigen Gesellschaft. Sie begreife die Zukunft nicht mehr als Herausforderung, auf die man Antworten finden müsse, sondern nehme sie als alternativlos hin, sagte er. Dass es keine Alternativen gebe, schärfe auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Bürgern ein.
Die Jury sieht in dem 83-jährigen Habermas einen der weltweit bedeutendsten Denker unserer Zeit. Habermas setze sich unermüdlich für ein demokratisch verfasstes Deutschland ein und trage zu den gesellschaftspolitischen Debatten Europas bei, heißt es in der Begründung.
In seiner Rede warf Habermas die Frage auf, was uns der Schriftsteller Heinrich Heine (1797-1856) heute noch sage. Heine sei durch die Umbrüche nach der Französischen Revolution geprägt gewesen. Mit seinen Gedichten habe er sich immer wieder in politische Debatten eingemischt. „Was uns von Heine unterscheidet, ist Kleinmut“, sagte Habermas.
Der 83-Jährige warb für die Völkerverständigung in Europa. Im europäischen Parlament könnten die „törichten Nationalvorurteile“, über die bereits Heine schrieb, durchkreuzt werden. Habermas zitierte Heine, der 1828 schrieb, dass es in Europa keine Nationen mehr gebe, sondern nur noch Parteien, die sich sehr gut verstünden. Der Philosoph warnte, dass nationale Egoismen wieder aufblühten. Deshalb wirke heute Heines Vision von Europa beinahe lächerlich.
Auch der Regisseur und Schriftsteller Alexander Kluge stellte in seiner Laudatio Bezüge zu Heine her. Was den Dichter mit Habermas verbinde, sei die „Praxis des vehementen Zwischenrufs“. Auch Habermas mische sich immer wieder in aktuelle Debatten ein. Bereits mit seiner Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) habe Habermas an die Zeiterfahrung Heines angeknüpft. In der Abhandlung schreibt Habermas, dass zu Heines Zeiten eine bürgerliche Öffentlichkeit entstanden sei.
Mit Habermas wurde erstmals ein gebürtiger Düsseldorfer mit dem Heine-Preis ausgezeichnet. Die wissenschaftliche Karriere des Sozialphilosophen begann 1956 an der Universität Frankfurt. Dort arbeitete er als Assistent für Theodor W. Adorno, einem der wichtigsten Vertreter der „Frankfurter Schule“. Habermas gehörte auch zu den Vordenkern der 68er-Studentenbewegung.
Der Heine-Preis gehört zu den wichtigsten Literatur- und Persönlichkeitspreisen in Deutschland. Die Stadt Düsseldorf verleiht den Preis seit 1972. Bisherige Preisträger sind unter anderen die französische Publizistin Simone Veil, Walter Jens, Marion Gräfin Dönhoff, Max Frisch und Richard von Weizsäcker.