Ken Follett über Bösewichte und Reporter
New York (dpa) - Drei Bücher hat Ken Follett in sieben Jahren über das 20. Jahrhundert geschrieben. Der letzte Band behandelt Mauerbau und Mauerfall und fast alles dazwischen.
Im Interview der Nachrichtenagentur dpa erzählt Follett (65), warum Geheimdienste nutzlos waren, aber doch wichtig sind, warum er von Russland enttäuscht und von Deutschland angetan ist, und warum 1989 besser als 1961 und 2014 besser als 1989 ist.
Frage: Sie haben gerade Ihre Jahrhundert-Trilogie beendet. Drei Bücher mit zusammen 3300 Seiten in sieben Jahren liegen hinter Ihnen. Haben Sie jetzt eine Familie verloren oder eine Bürde?
Antwort: Ach, ich bin einfach froh, dass es so gut funktioniert hat. Ich war nicht hundertprozentig sicher. Ich hatte sogar einen Plan B, dass ich der Öffentlichkeit mitteile, dass es nicht funktioniert und ich meinen Vorschuss gerade zurückgezahlt habe. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich dieses Risiko auf mich genommen habe. Denn die Resonanz der Leser ist ganz wundervoll.
Frage: Als Autor hat man sein kleines Universum, in dem man entscheiden kann, wer Glück hat und wer Pech, wer ein Kind bekommt und wer stirbt. Genießen Sie es, da ein bisschen Gott zu spielen?
Antwort: Aber natürlich, klar! Und es ist sehr viel einfacher zu kontrollieren als die echte Welt.
Frage: In Ihrem Buch sagt einer der Protagonisten, dass der Westen nichts beigetragen habe zum Fall der Mauer und zum Zusammenbruch des Kommunismus. Glauben Sie das wirklich?
Antwort: Ja, davon bin ich überzeugt. Dieser Dialog wird zwischen zwei CIA-Agenten geführt. Und sie haben auf ganzer Linie versagt. Sie wollten nicht, dass Vietnam kommunistisch wird, und sie haben versagt. Sie wollten nicht, dass Kuba kommunistisch wird, und sie haben versagt. In Nicaragua auch. Die USA und auch die Sowjetunion haben viele Kriege als Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus begriffen. Aber sie lagen beide daneben. Oftmals waren es einfach antikolonialistische Kriege. Die Menschen wollten schlicht in ihrem eigenen Land selbst entscheiden. Das hat weder Washington noch Moskau begriffen. Die Kommunisten haben sich auch als Befreier gegeben. Dabei waren sie das genaue Gegenteil.
Frage: Halten Sie dann Geheimdienste im Allgemeinen für überflüssig?
Antwort: Nein, durchaus nicht. Die heutige Aufgabe der Geheimdienste in Großbritannien, Deutschland und den USA ist, extremistische Gefahren, in erster Linie natürlich von Islamisten, zu erkennen und zu bekämpfen. Das halte ich für eine extrem wichtige Arbeit. Wir alle sind gefährdet von solchen Leuten, unsere Familien, unsere Kinder könnten getötet werden. Da ist geheimdienstliche Arbeit sehr wichtig.
Frage: Aber gehen die Dienste dabei nicht zu weit, wenn sie Hunderte Millionen Menschen überwachen?
Antwort: Ja, absolut. Deshalb ist es wichtig, diese überwachenden Dienste selbst zu überwachen. Und vor allem muss es Sanktionen geben. Wer seine Macht missbraucht, muss bestraft werden, ganz klar. Das geschieht mir noch zu wenig. Polizisten hassen es, Grenzen gesetzt zu bekommen. Aber eine Regierung muss nun mal die Balance finden zwischen der Notwendigkeit, Gefahren abzuwehren, und der Notwendigkeit, die Freiheit zu verteidigen. Notfalls auch gegen die eigenen Polizisten. Polizisten verstehen das oftmals nicht. Aber das müssen sie auch nicht, solange es die Regierungen verstehen.
Frage: In Ihren Büchern wird deutlich, wie sehr Sie auch den Kommunismus verabscheuen. Und doch ist die Kremlführung in Ihrem Buch sehr differenziert, sehr nahe am Menschen. Die konservativen Regierungen von Nixon und Reagan erscheinen hingegen als grauer Block alter Männer. Sie sind wirklich ein Linker, oder?
Antwort: (lacht) Ja, das bin ich ohne Frage. Aber ich muss gestehen, dass sich meine Sicht auf Nixon geändert hat. In den 70ern hasste ich ihn. Jetzt habe ich mit einem seiner Mitarbeiter recherchiert und inzwischen gebe ich zu, dass er in einigen Dingen sehr gut war. Er hat den Vietnamkrieg beendet, die Rassentrennung in den Schulen beseitigt und die Umweltbehörde EPA gegründet. Aber es war nicht einfach, ihm menschliche Züge zu geben. Er war auch solch ein Lügner!
Frage: Sie sind sehr freundlich zu Ihren deutschen Charakteren. Dabei gibt es genug, was man den Deutschen im 20. Jahrhundert vorwerfen könnte. Haben Sie sich deshalb schon Kritik anhören müssen?
Antwort: Niemals! Wissen Sie, die Menschen, die im Zweiten Weltkrieg kämpften, sind heute sehr alt, die meisten vermutlich schon tot. Als ich ein kleiner Junge war, sagten einige, der einzige gute Deutsche sei ein toter Deutscher. Und so furchtbar das klingt, ich verstehe es für jeden, der im Krieg gekämpft hat. Aber ich wurde 1949 geboren. Wissen Sie, vor 1000 Jahren haben die Dänen immer wieder unser Land überfallen, unsere Frauen vergewaltigt und unsere Güter gestohlen. Trotzdem hassen wir heute die Dänen nicht...
Frage: ... dafür hat die britische Marine vor 200 Jahren Kopenhagen in Schutt und Asche gelegt. Vielleicht sind Sie einfach quitt?
Antwort: (lacht) Ja, vielleicht. Aber ernsthaft. Die Franzosen haben die Briten über Jahrhunderte gehasst. Britische Historiker sprechen von der „englischen Invasion“. In Wirklichkeit war es eine Horde von Räubern, die über den Kanal gesegelt ist und alles mitgenommen hat, was sie schleppen konnte. Und es gab Vergewaltigungen und Mord. Die Franzosen haben von der „englischen Pest“ gesprochen. Ja natürlich, einige Franzosen mögen die Engländer noch immer nicht. Aber trotzdem ist das alles Vergangenheit, Geschichte. Das hat alles nichts mit Nationalitäten zu tun sondern mit Umständen.
Frage: Aber in Ihren Büchern sind die Personen immer oft sehr holzschnittartig. Die Guten sind sehr gut, sehen sogar gut aus, und die bösen sind in jeder Hinsicht böse und dazu selbst äußerlich unattraktiv. Ich dachte, das gibt es nur noch in Kinderfilmen von Disney.
Antwort: Da muss ich selbst nachdenken. Hatte ich gar keinen gut aussehenden Bösewicht? Cameron Dewar zum Beispiel, der ist eindeutig einer von der üblen Sorte...
Frage: ... und er ist groß und schlaksig und hat keine Chance bei den Frauen...
Antwort: Ja, das stimmt auch wieder. Ich hatte aber definitiv schon gut aussehende Bösewichte. Aber seien wir ehrlich: Unsere Feinde, die wir alle haben, sehen die in unseren Augen nicht alle hässlich aus?
Frage: Möge Sie Bösewichte?
Antwort: Als Autor? Ich liebe sie! Es gibt in meinem Buch „Die Säulen der Erde“ einen Bösewicht namens William Hamleigh. Er ist wirklich widerwärtig in jeder Hinsicht. Auf keinen Charakter werde ich mehr angesprochen als auf ihn. Und die Leute sagen, warum ich ihn nicht viel früher umgebracht habe? Aber wenn man einen richtig guten Schurken hat, dann tötet man ihn doch nicht zu Mitte des Buches! Den braucht man bis zum Schluss.
Frage: Ihr Buch die „Kinder der Freiheit“ beginnt 1961. In den USA sind Schwarze Bürger dritter Klasse, in der Sowjetunion herrscht der Kommunismus und in Berlin steht eine Mauer. Das Buch endet 1989 und scheinbar sind alle drei Probleme gelöst. Ganz klar war '89 besser als '61. Aber ist 2014 auch besser als 1989?
Antwort: Ich glaube schon. Die menschliche Rasse hat Fortschritte gemacht. Es gibt immer Rückschläge. Aber Schwarze werden heute auf der Welt mehr respektiert als 1989, die Situation für Frauen hat sich verbessert und für Homosexuelle sogar ganz dramatisch. Die große Enttäuschung ist Russland. Hier dachten wir, dass ein Land von der Tyrannei befreit wurde. Das war ein Irrtum. Aber es braucht einfach Zeit, Demokratie zu entwickeln. Eine erfolgreiche Wahl reicht nicht.
Frage: Sie gehören zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Welt und verkaufen Millionen Bücher. Trotzdem nimmt sie das Feuilleton nicht ganz ernst. Ärgert Sie das?
Antwort: Nein, ehrlich nicht. Zum einen werde ich so reichlich belohnt, dass es sehr undankbar wäre, wenn ich mich noch beklagen würde. Ich habe alle diese wundervollen Briefe von Lesern, die meine Arbeit mögen. Und ich verdiene natürlich eine Menge Geld, kann Erster Klasse fliegen und in schönen Hotels schlafen.
Zum zweiten war ich selbst Journalist und verstehe sie. Die wollen etwas Neues. Sie wollen den 25-Jährigen, der einen radikal neuen Roman schreibt. Die kleine Theatergruppe, die experimentiert und etwas völlig neues schafft. Ich schreibe in der viktorianischen Tradition, wie übrigens die meisten in den Bestsellerlisten. Das sind Bücher mit einer Geschichte, mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Ende und es funktioniert ganz prächtig. Niemand kann sagen, guckt Euch an, was Follett da macht, er verändert das ganze Gesicht der Literatur. Das macht er nicht, weil Follett so schreibt, wie schon seit 200 Jahren geschrieben wird.
Frage: Die letzte Frage muss natürlich lauten: Woran arbeiten Sie gerade?
Antwort: Ich recherchiere gerade einen Stoff aus dem 16. Jahrhundert. Gegen Königin Elizabeth I. von England gab es mehrere Attentatspläne. Deshalb hat sie den ersten Geheimdienst der modernen Geschichte gegründet. Der war sehr erfolgreich, denn kein Komplott gelang. Ich arbeite also an einem Agentenroman aus dem 16. Jahrhundert. Die Handlung findet wieder in Kingsbridge statt, der Stadt aus „Die Säulen der Erde“ und „Die Tore der Welt“. Ich arbeite daran jetzt seit acht Monaten und bin optimistisch, dass er 2017 erscheint. Einen Titel habe ich noch nicht, noch ist es einfach „Kingsbridge III“.
ZUR PERSON: Ken Follett, 1949 in Wales geboren aber bei London aufgewachsen, gilt als einer der erfolgreichsten Schriftsteller unserer Zeit. Seinen Durchbruch hatte er 1989 mit „Die Säulen der Erde“, einem historischen Roman aus dem Mittelalter. Thriller und historische Romane sind seitdem seine Spezialität. Kritiker bemängeln zwar, dass Follett an einem einmal gefundenen Rezept festhält und seine Bücher vorhersehbar seien. Seine Anhänger schätzen aber seine klare Sprache und die detaillierte Schilderung historischer Ereignisse. Follett ist mit der früheren Labour-Ministerin Barbara Follett verheiratet.
- Ken Follett, Kinder der Freiheit, Bastei Lübbe, 1216 Seiten EUR, 29,99, ISBN: 978-3-7857-2510-8, erscheint am 16. September.