Kritik am Nobelpreis: "Keine Hoffnung für China"
Der Schriftsteller Liao Yiwu kritisiert den Literatur-Nobelpreis für Mo Yan und sieht seinen eigenen Friedenspreis als Verpflichtung.
Frankfurt. „Schreiben ist ein Weg, nach Freiheit zu streben, sagt der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu. Zeitlebens hat der in seiner Heimat verfemte Autor mutig um diese Freiheit gekämpft, bis er im vergangenen Jahr zermürbt nach Deutschland floh. Am Sonntag erhält er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Herr Liao, wie stehen Sie zu der Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Ihren Landsmann Mo Yan?
Liao Yiwu: Es ist eine Enttäuschung, Mo Yan ist ein „Staatsautor“. Er hat zwar literarisch eine hohe Ebene erreicht, aber es geht ihm nicht um die Menschenrechte in China. Es muss aber gelten: Erstens kommt die Wahrheit, zweitens die Literatur.
Haben Sie die Hoffnung, dass sich durch den Friedenspreis für Sie die Situation von Künstlern in China verbessern könnte?
Liao: Nein, das glaube ich nicht. In meinen Augen gibt es keine Hoffnung für dieses Land. Aber ich denke, dass der Friedenspreis dazu beitragen kann, die Wahrheit über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 zu verbreiten.
Freuen Sie sich über den Preis?
Liao: Ehrlich gesagt: Ich empfinde es jetzt noch mehr als eine Verpflichtung, mich gegen Unterdrückung und Gewalt zu stellen. Seit ich von der Entscheidung der Jury weiß, habe ich mich bei vielen Veranstaltungen und mit vielen Appellen für die Freiheit anderer eingesetzt. Besonders besorgt mich die Lage der Tibeter. Inzwischen haben sich dort mehr als 50 Menschen aus Protest gegen das kommunistische chinesische Regime verbrannt.
Wie hat sich die Situation in China seit ihrer Ausreise im letzten Jahr entwickelt?
Liao: Das sieht man am Beispiel Tibet sehr gut. Im Grunde ist es genau das gleiche, was 1989 in Peking passiert ist. Wer nach Demokratie ruft, bekommt eine Kugel geschenkt oder wird erschossen, und dann redet er nicht mehr über Demokratie. Stattdessen gibt man dem Volk Opium: Es soll das Geld lieben.
Sie saßen vier Jahre im Gefängnis, haben zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen — was hat Ihnen die Kraft gegeben, durchzuhalten?
Liao: Der Instinkt des Inhaftierten. Jeder, der jemals im Gefängnis war, hat eine unendliche Angst, dass die Gefängniserfahrungen vergessen werden und dass die Gesellschaft ihn im Stich lässt. Deshalb habe ich sofort nach meiner Entlassung angefangen, meine Erlebnisse aufzuschreiben. Dann haben sie einmal mein Manuskript konfisziert, und dann noch einmal. Aber ich habe nicht aufgegeben, sondern alles zum dritten Mal geschrieben.
Verstehen Sie sich als politischer Schriftsteller?
Liao: Nein, gar nicht. Ich habe noch nicht mal eine politische Meinung. Ich verstehe mich als ein Aufnahmegerät der Zeit. Ich halte fest, was andere Menschen mir erzählen. Die Leute, die ich im Gefängnis kennengelernt habe, konnten nicht schreiben. Aber ich kann schreiben. Und deshalb versuche ich, die Wahrheit festzuhalten.
Haben Sie Heimweh?
Liao: Ich habe keine Zeit für Heimweh. Aber wenn es einmal kommt, lese ich meine alten chinesischen Klassiker — das ist meine Heimat. Viele Leute sitzen ja heute dauernd am Computer. Aber ich bin wahrscheinlich ein sehr konservativer Mensch, ich brauche meine alte Literatur.
Wollen Sie Deutsch lernen?
Liao: Ja sicher! Ich habe mir schon lange Zeit und regelmäßig gelernt. Aber dann kam der Friedenspreis und die vielen Aktionen, deshalb habe ich die Kurse erst mal gestoppt. Aber ich will unbedingt weitermachen. Ich liebe Berlin und möchte hierbleiben. Da ist es für mich selbstverständlich, Deutsch zu lernen.
Würden Sie gern eines Tages in Ihre Heimat zurück?
Liao: Ich mache mir keine Hoffnung. Ich habe mehr als ein halbes Jahrhundert in diesem Land verbracht und ich kenne dieses Regime von Grund auf. Da gibt es nichts zu hoffen. Ehe ich meine Zeit damit vertue, schreibe und musiziere ich lieber und schaffe mir meine Heimat selbst.