Nobelpreis für Literatur geht an Chinesen Mo Yan
Stockholm/Peking (dpa) - Der Nobelpreis für Literatur geht in diesem Jahr an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan. Damit bekommt erstmals ein in China lebender Autor den wichtigsten Literaturpreis der Welt.
Die Jury der Schwedischen Akademie in Stockholm zeichnete den 57-Jährigen am Donnerstag aus, weil er „mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart“ vereine. Mit seinen Geschichten über das harte Leben auf dem Dorf wie „Das rote Kornfeld“ ist der Bauernsohn in seiner Heimat sehr erfolgreich. Die Reaktionen reichten von Freude bei Schriftstellerkollegen bis zu harter Kritik, dass der Romanautor den kommunistischen Machthabern zu nahe stehe.
Mo Yan, dessen Name ein Pseudonym ist und in etwa „Ohne Worte“ bedeutet, hat in Deutschland bislang eine eher kleine Fangemeinde. Die Verfilmung der Familiensaga „Das rote Kornfeld“ von Regisseur Zhang Yimou gewann 1988 den Goldenen Bären bei den Berliner Filmfestspielen. Im Jahr 2009, als China Ehrengast der Frankfurter Buchmesse war, verließ Mo Yan mit der offiziellen chinesischen Delegation den Festsaal, als regimekritische Autoren an einem Forum teilnehmen wollten.
Auf Deutsch liegen auch Werke wie „Die Knoblauchrevolte“ oder „Die Schnapsstadt“ vor. Beim Carl Hanser Verlag soll bald sein Roman „Wa“ (Frösche) über Chinas umstrittene Ein-Kind-Politik erscheinen.
Wie viele in seiner Generation, ist der Autor vom Chaos der Kulturrevolution (1966-76) geprägt. Geboren 1955 als Guan Moye, ging er nur fünf Jahre in die Schule. Er arbeitete früh auf dem Feld und in der Fabrik, kam zur Armee und zog bald vom Dorf in die Hauptstadt Peking. Er war als Bibliothekar tätig und begann sein literarisches Werk in den 80er Jahren.
Auf die Auszeichnung aus Stockholm reagierte Mo Yan bescheiden: Er habe sich gefreut, glaube aber nicht, dass der Preis etwas bedeute. „China hat viele großartige Schriftsteller, die auch dazu befähigt sind, von der Welt anerkannt zu werden.“ Er wisse noch nicht, ob er zur Verleihung am 10. Dezember in Stockholm anreisen werde.
Die mit umgerechnet 930 000 Euro dotierten Nobelpreise werden traditionell am Todestag des Stifters Alfred Nobel überreicht. Im vergangenen Jahr hatte der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer die Auszeichnung erhalten.
Chinesische Intellektuelle reagierten gemischt auf die Ehrung: Der kritische Blogger Han Han sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Auszeichnung sei „eine Ehre für chinesische Schriftsteller“. Der Bürgerrechtler Yu Jie übte dagegen scharfe Kritik: „Ich denke, der Nobelpreis sollte an niemanden verliehen werden, der Mao Tsetung lobt, egal wie populär sein Werk ist.“ Der Verlag People's Literature Publishing House in Peking, der bald das neueste Buch des Autors veröffentlicht, zeigte sich „glücklich und stolz“.
Die deutschen Reaktionen fielen meist positiv aus. Außenminister Guido Westerwelle sagte, dies sei „ein abermaliger Beleg für China als einer großen Literaturnation“.
Martin Walser nannte es „imponierend, dass seine Humanität über nationale Gereiztheiten triumphiert“. Herta Müller, vor drei Jahren die letzte deutschsprachige Literaturnobelpreisträgerin, äußerte sich auf der Frankfurter Buchmesse zurückhaltender: „Er war nicht mein Favorit.“ Der Sinologe und Autor Tilman Spengler sagte, Mo Yan habe „Neugier auf alles, was mit Literatur zusammenhängt und Bauernschläue, was den Parteiapparat betrifft“.
Die Autorin und Kritikerin Elke Heidenreich zeigte sich wenig überrascht, dies sei „ein politischer Preis“. Denis Scheck, bekannt aus dem ARD-Literaturmagazin „Druckfrisch“, meinte: „Am literarischen Firmament ist ein neuer Fixstern erschienen.“
Der Sprecher der Nobelpreis-Jury, Peter Englund, sagte: „Wir haben es mit einer einzigartigen Autorenschaft zu tun. Sie hat uns einen einzigartigen Einblick in ein einzigartiges Milieu verschafft.“ Mo Yan schildere eine dörfliche Welt in einem Teil Chinas, die den meisten fremd sei. „Mo Yan ist nicht als Intellektueller dort hinabgestiegen, sondern er ist selbst ein Teil davon.“
In ihrer „bibliografischen Notiz“ meinten die Juroren, der Preisträger baue auch „auf der älteren chinesischen Literatur und mündlichen Erzähltraditionen des Volkes“ auf. Weiter hieß es: „In seinem Heimatland wird er trotz seiner gesellschaftskritischen Haltung als einer der führenden zeitgenössischen Schriftsteller betrachtet.“
Zuletzt war der Literaturnobelpreis im Jahr 2000 mit Gao Xingjian an einen chinesischen Autor gegangen. Der international weitgehend unbekannt gebliebene Xingjian lebte damals wie heute im Exil in Paris und wurde deshalb Frankreich zugeordnet.
Mo Yan wurde in den Tagen vor der Verkündung bei den Wetteinsätzen als Favorit unter anderem neben dem Japaner Haruki Murakami und der Kanadierin Alice Munro gehandelt. Zuletzt sickerte durch, dass die skandinavischen Juroren als eine von drei „bevorzugten“ TV-Stationen auch einen chinesischen Sender nach Stockholm eingeladen hatten.
Mo Yan, der eigentlich in Peking lebt, erfuhr in seinem alten Heimatdorf Gaomi in der ostchinesischen Provinz Shandong von der Auszeichnung.