Lesungen werden zum Live-Erlebnis

Leipzig (dpa) - Lesen ist gut, sich etwas vorlesen zu lassen ist besser. Autorenlesungen boomen, da ist sich die Buchbranche einig.

Zehntausende Lesefreunde strömen jedes Jahr zu Festivals wie „Leipzig liest“ (14.-17. März) oder der Kölner „Lit Cologne“ (6.-16. März), um sich von etablierten Autoren und von Newcomern aus neuen Romanen vorlesen zu lassen. „Es ist das Live-Erlebnis, das ankommt“, sagt der Verleger Sebastian Wolter vom sächsischen Verlag Voland & Quist. „Ähnlich wie bei Rockkonzerten kommt da oft ein Gemeinschaftsgefühl auf.“

Zudem fänden Lesungen ein breiteres Publikum, seit sich zunehmend auch Veranstaltungsorte fernab der Buchhandlungen, etwa Kneipen und Clubs, für Lesungen öffnen. Für seinen kleinen Verlag gehörten Lesereisen von Anfang an zum Konzept. „Zu jedem neuen Buch haben wir eine organisiert, um uns auch bei Publikum und Veranstaltern bekannter zu machen.“ Die Autorenlesung gilt zudem als cleveres Marketinginstrument der Verlage und als zusätzliche Einnahmequelle für Autoren. Beim Publikum kommen solche Lesungen besonders gut an, die den Text mit szenischen Einlagen aufpeppen, ihn mit Musik oder Film kombinieren.

„Wir wollen weg von der typischen Wasserglaslesung“, sagt Birgit Peter, Kuratoriumschefin im Leipziger „Haus des Buches“, das ganzjährig zu zahlreichen Lesungen einlädt. 12 000 Gäste kommen jedes Jahr zu diesen Veranstaltungen, sagt Peter.

Für die ungewöhnlicheren Abende lädt der Verein gern Autoren wie Nora Gomringer ein. Die Lyrikerin und Poetry Slammerin brachte Musiker mit und machte aus ihrer Lesung eine Performance. „Das Publikum ist entdeckungsfreudiger geworden und sucht nach niveauvoller Abendunterhaltung“, glaubt Peter. „Auch, weil sie vom Angebot in Fernsehen oder Kino enttäuscht sind.“

Die Schweizer Autorin Sibylle Berg bastelte zur Lesereise für ihren aktuellen Roman „Vielen Dank für das Leben“ gleich eine Art Bühneninszenierung mit Orchester, Videokünstlerin und prominenter Vorleseunterstützung von Katja Riemann und Matthias Brandt. „So hatte ich das Gefühl, dass ich dem Zuschauer etwas bieten kann, das er beim Lesen im Bett nicht hat“, erzählt sie.

Als zusätzliche Einnahmequelle oder Marketinginstrument sieht Berg ihre Leseabende hingegen nicht. „Meine Tour war ausverkauft, und ich habe exakt die Fahrtkosten wieder eingenommen“, sagt sie. Und: „Ich weigere mich, das als PR-Strategie zu verstehen. Sonst säße ich bald da und würde ein Buch über Sado-Maso oder meine Körperöffnungen schreiben.“

Für die Verlage sind die Autorenlesungen hingegen durchaus ein wichtiges Marketinginstrument. „Im Jahr kommen allein in Deutschland 90 000 neue Titel auf den Markt, da muss man sich schon etwas einfallen lassen, um die Leser zu gewinnen“, sagt der Direktor der Leipziger Buchmesse, Oliver Zille.

Das von der Messe mitorganisierte Lesefest „Leipzig liest“ gilt mit seinen 2800 Veranstaltungen als größtes in ganz Europa. Zudem schössen seit einigen Jahren immer neue Literaturfeste wie Pilze aus dem Boden. „Fast jede Stadt hat inzwischen eines, oft mit sehr spezifischem Fokus auf bestimmte Genres oder Zielgruppen.“

Für das Leipziger Lesefestival hat Zille ebenso wie der Verleger Wolter noch einen Boom im Boom ausgemacht: Lange Lesenächte mit vielen verschiedenen Autoren ziehen die Zuhörer in Scharen an. Besonders beliebt seien die Kriminächte.