Interview Martin Walser: Nicht Schreiben? Kann ich mir nicht vorstellen
Autor Martin Walser über sein neues Buch, seine Co-Autorin und seine Töchter.
Düsseldorf. Er ist einer der letzten Groß-Autoren der Deutschen. Und schreibt auch noch mit 89. Für seinen kürzlich erschienenen Roman „Ein sterbender Mann“ arbeitete Martin Walser erstmals mit einer Co-Autorin — Thekla Chabbi, einer Sinologin aus München und Übersetzerin mehrerer Romane des Chinesen Li Er. Wir haben mit Martin Walser gesprochen — über die Recherche zu seinem neuen Buch, seine Co-Autorin und seine schreibenden Töchter.
Herr Walser, wie kam es zur Zusammenarbeit mit Thekla Chabbi?
Martin Walser: Das ist eine längere Geschichte. Ich war im Februar 2014 in der Universität Heidelberg zu einem deutsch-chinesischen Treffen. Daran nahm mein Übersetzer aus Peking teil. Da war auch Frau Chabbi aus München. Abends, bei einem Essen in einer Wirtschaft, sprachen wir über mein neues Buchprojekt — über einen Mann, der von seinem besten Freund verraten wird und sich deshalb umbringen will. Dabei stellte sich heraus, dass Thekla Chabbi über ein Suizidforum informiert war.
Und was ergab sich daraus?
Walser: Sie schickte mir einen Link zu einem Suizid-Portal. Ich loggte mich ein und war fasziniert von der Mitteilungsfreude der Selbsttötungs-Willigen. Unter einem Decknamen sprechen sie frei über ihre Gefühle und ihre Trauer. Daran hat dann auch meine Romanfigur Theo Schadt teilgenommen. Und Thekla hat ihm geantwortet, unter dem Pseudonym Aster. In diesem fiktiven Dialog erkannte ich schnell, dass diese Person „Aster“ richtig gut schreiben kann.
Haben Sie dann diese Dialoge in den Roman eingearbeitet?
Walser: Ja, deswegen steht ihr Name auch im Copyright und sie trägt diese Teile jetzt bei unseren Lesungen vor. Zumal sie mir auch viele Details über Tango geliefert hat. (Die Redaktion: Sie weiß sehr viel über Details der Tango-Kultur). Sie sind wichtig für die zweite Romanfigur Sina.
Ist diese Kooperation in der Literatur einmalig?
Walser: Ich denke ja. Weil sie nicht geplant war, sondern sich zufällig ergab. Allerdings bringt Goethe in seinem Alterswerk, „West-östlicher Divan“, Gedichte von Marianne von Willemer. Doch er sagte niemandem, dass sie von ihr waren. Und es kam erst nach Goethes Tod heraus.
Wie reagieren Sie auf negative Äußerungen über das Buch, wie „Walser schmort im eigenen Saft“ oder „Männerfantasien“?
Walser schweigt.
Trägt der Roman eine autobiografische Note?
Walser: Ich schreibe seit Jahrzehnten, damit ich diese Frage nicht beantworten muss. Verrat ist heute keine Ausnahme.
Fußt Ihre Fantasie also auf der eigenen Erfahrung?
Walser: Ja, aber die Freude am Schreiben trägt mich weit über das hinaus, was ich erfahren habe.
Fühlen Sie sich als Großautor verpflichtet, über bestimmte Themen zu schreiben?
Walser: Nein. Ich kann mir nur nicht vorstellen, nicht mehr zu schreiben.
Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag?
Walser: Da hab’ ich keine Methode. Wenn ich denke, ich habe genug geschlafen, dann stehe ich auf und schreibe. Und es ist schön für mich, dass abends etwas auf dem Papier steht, was ich morgens noch nicht gedacht habe.
Sind Sie stolz auf Ihre schreibenden Töchter Alissa (55) und Theresia Walser (48), die als Theater-Autorin auch sehr erfolgreich ist?
Walser: Natürlich. Was gibt es Schöneres für einen Schriftsteller, als dass seine Töchter von selbst anfangen zu schreiben? Ohne Aufforderung von mir. Ich erfahre immer von beiden, woran sie arbeiten. Und habe alle Theaterstücke von Theresia gesehen.