Michel Houellebecq: Abschied vom Skandalautor

Paris (dpa) - Seine Zigarette hält Michel Houellebecq immer noch seltsam gespreizt zwischen Mittel- und Ringfinger. Auch seine Stimme ist noch monoton, matt und leicht angewidert, wenn der Autor der ihm verhassten Journaille Interviews gibt.

Dennoch ist Houellebecq nicht mehr Frankreichs literarisches „Enfant terrible“. Der französische Schriftsteller hat seine Rolle als „Provokateur um jeden Preis“ abgelegt und wurde mit „Karte und Gebiet“ endlich in die Galerie der viel begehrten Träger des Prix Goncourt aufgenommen. Zu Recht, denn sein jüngstes Buch ist sein bestes - auch wenn mancher Literaturkritiker den typischen „Houellebecqschen Biss“ vermisst.

Der Provokateur ist tot, es lebe Houellebecq! Dem Schriftsteller ist mit seinem fünften Roman eine Art Neugeburt gelungen. Der Autor lässt sich in „Karte und Gebiet“ bestialisch ermorden und verabschiedet sich dadurch in gewisser Weise von dem frauenfeindlichen, rassistischen und islamfeindlichen Autor und der Hassfigur, die er für viele geworden ist. Sein jüngstes Werk navigiert in psychologisch tieferen Gründen, wirkt reifer, ist konstruierter.

Der Held des neuen Buchs, Jed Martin, schafft Kunst aus Landkarten von Michelin, daher der etwas ungewöhnliche Titel des Buchs „Karte und Gebiet“. Zu Ruhm und Reichtum gelangt er jedoch erst mit Porträts einfacher Handwerker, bekannter Unternehmer und Künstler, unter anderem von Michel Houellebecq - einem „berühmten, weltweit berühmten Schriftsteller“, wie der Autor über sich selbst schreibt. Auch daran hat es ihm nie gefehlt: an Arroganz, Einbildung und der Besessenheit, berühmt zu werden.

Niemand hält dieser Gesellschaft den Spiegel so schonungslos vor wie Houellebecq. Der Starliterat macht auch in seinem jüngsten Buch keine Ausnahme, denn der Protagonist von „Karte und Gebiet“ ist ein Künstler, der versucht, „mit den Mitteln der Malerei die Mechanismen zu beschreiben, die zum Funktionieren einer Gesellschaft beitragen“, wie er in seinem Buch schreibt. Kurzum: Auch hier ein Kreuzzug gegen die Macht des Geldes, das Diktat des Konsums, die Auflösung der Werte.

Manche Kritiker vermuten, dass Houellebecq seinen jüngsten Roman auf den langersehnten Preis hin zugeschrieben habe, denn er inszeniert sich darin weder als Frauenhasser noch als Reaktionär oder Islamfeind, was Frankreichs Presse aufs Höchste erstaunte - und einige Kritiker enttäuschte. Die Tageszeitung „Libération“ sah den Skandal schließlich darin, dass es gar keinen gab.

Doch wenn Jed die Porträts von Bill Gates und Steve Jobs als „aufrichtige Kapitalisten“ malt oder das Bild „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“, dann ist Houellebecqs Hass gegen Wirtschaftsliberalismus und Fortschrittsglauben nicht schwächer geworden, nur in seinem Ansatz weniger pubertär und dogmatisch.

Wie alle seine Romane, angefangen von „Plattform“ bis hin zu „Elementarteilchen“, ist sein neuer Roman stark autobiografisch. Jed ist wie sein Autor: ein Einzelgänger und Zyniker, vom Leben und den Menschen enttäuscht. Auch daran hat sich nichts geändert, ebenso wenig wie an seiner nüchternen Sprache, seiner Ironie und seinem Zynismus. Houellebecq hat sich mit seinen 53 Jahren nur von dem Titel des Skandalautors verabschiedet und von seiner durch zu hohen Testosteronspiegel bestimmten Schreibweise.