Lesung im Kölner Dom Mit Klaus Maria Brandauer ins finstere Verlies
Köln (dpa) - Eine Nacht in einem dunklen Kerker im spanischen Sevilla - mit Jesus, einem Kardinal-Großinquisitor und Klaus Maria Brandauer: Ausgerechnet der Kölner Dom bietet einem der größten kirchenkritischen Texte der Weltliteratur eine Bühne.
Mit einer Lesung aus dem Roman „Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Dostojewski. Der Theater- und Filmschauspieler Brandauer schlüpft dabei am Mittwochabend in die Rolle des „Großinquisitors“.
Wer den 74-Jährigen gut verstehen kann - unter den schwierigen akustischen Bedingungen der Kölner Kathedrale sind das bei weitem nicht alle rund 2000 Zuhörer - folgt ihm in das fiese Verlies. Darin sitzt kein Geringerer als Jesus fest. Ganz „still und unauffällig“ ist er im 16. Jahrhundert wieder zurückgekehrt, das Volk erkennt, umringt, verehrt ihn. Die Kirche fühlt sich dadurch mehr als gestört. Der Großinquisitor will ihn „als schlimmsten aller Ketzer“ auf dem Scheiterhaufen brennen sehen.
Die ungewöhnliche Veranstaltung gehört zu den Höhepunkten des größten europäischen Literaturfestivals Lit.Cologne, das noch bis zum 17. März dauert. Brandauer, seit Jahrzehnten eine Institution auf Theaterbühnen wie auch im Film, liest den Text mit voller, sonorer Stimme. Eingehüllt in Jacke und Schal gibt er den greisen, fast 90 Jahre alten Inquisitor. Dessen Botschaft: Jesus habe vor 15 Jahrhunderten seine Chance gehabt und solle sich jetzt raushalten, so hallt es durch den Kölner Dom.
Die schwachen, kraftlosen, lasterhaften Menschen seien mit Freiheit und freier Entscheidung überfordert, hört das Publikum. Die Kirche habe übernommen und sich längst von Jesus losgesagt: „Wir sind nicht mit dir“, liest der Österreicher aus dem Roman des russischen Dichters. Der Text ist fast 140 Jahre alt, enthält aber bis heute aktuelle Fragen rund um Wesen und Natur des Menschen, die Rolle von Glaube und Religion.
Brandauer ist Anfang der 1980er Jahre international bekannt geworden mit der oscargekrönten Klaus-Mann-Verfilmung „Mephisto“. Auch nach 55 Jahren Bühnenerfahrung, trotz Wiener Burgtheater und Karriere in Hollywood - auf den Kölner Auftritt hat er sich offenbar umfassend vorbereitet. „Ich habe mir eigens Aufnahmen von Messen im Dom kommen lassen, um zu hören, wie die Priester im Dom sprechen“, verrät er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor der Lesung. Ihn sporne an, „dass der liebe Gott ja vielleicht doch hinter mir steht und mir über die Schulter schaut.“
Brandauers Ziel: „Mehr als gut sein. (...) Ich möchte Dostojewskis Großinquisitor denken. Und die Leute dabei mitnehmen.“ Mission vollbracht? Nach der Veranstaltung klagen einige zwar, sie hätten schlecht hören können. Brandauers Darbietung sei aber „wunderbar und sehr beeindruckend“ gewesen, findet etwa Kirsten Bresser. Die Kölnerin Sabine Kassner meint: „Der Vortrag war grandios. Eine faszinierende Stimme, die mich gepackt hat - so, als wäre ich selbst mit in diesem dunklen Verlies gewesen.“