Neuerscheinung: Schwermut macht Wermut
Der Autor von „Nachtzug nach Lissabon“ scheitert.
Düsseldorf. Man kennt sie, die schreiend tragischen Künstlerklischees von Musik- und Virtuosengenies, versoffenen Dirigenten oder Komponisten, die, wie einst Friedemann Bach angeblich verarmt in einer Dachkammer sterbend ihren großen Erfolg verpassten. So mutet auch, je länger, desto mehr, die Novelle "Lea" an, protzig angekündigt "vom Autor des Weltbestsellers ,Nachtzug nach Lissabon’". Und es ist ja wahr: Pascal Mercier ist seinerzeit mit diesem Roman ein gigantischer Erfolg gelungen, 1,5 Millionen verkaufte Exemplare. Doch was für ein Absturz ist das neue Werk des in Berlin als Professor für Analytische Philosophie lehrenden Schweizers Peter Bieri alias Pascal Mercier! Alle Klischees hat er in seiner Geschichte einer zerbrechenden Künstlerin einwandfrei besetzt, und Volker Weidermann von der "FAS" titelte prompt "Professor Kitsch". Zwei ebenfalls gescheiterte Schweizer - Ex-Chirurg Adrian Herzog und der Ex-Hochschulprofessor für Biokybernetik Martijn van Vliet - treffen zufällig auf einander, in der Provence, wo sonst, in einem Café, wo sonst, sie erkennen mit einem Blick, dass ihr Weg von nun an ein gemeinsamer sein wird, was sonst. Überhaupt läuft hier alles, das merkt man sehr schnell, auf ein dräuendes, unausweichliches Schicksal hinaus. So nimmt das Erzählen und Memorieren der jeweiligen Stationen des Scheiterns seinen Lauf, auch das schicksalhaft. Überhaupt weiß man alles schon viel zu schnell und viel zu früh, obwohl Mercier so qualvoll langsam, fast mühsam erzählt.
Der schwarze Schlangenwein eines kitschigen Jugendstil-Bildes
Martijns Frau starb früh, und die Tochter Lea ist danach verschattet, verstummt, bis sie durch den Klang einer Bahnhofsgeigerin ein Erweckungserlebnis hat. Nun ist aber der Titel eigentlich irreführend. Ob nun mysteriöse Gestalten wie die Geigerin Loyola de Colón (was für ein fast gewalttätig symbolisch aufgeladener Name!), die Violinpädagogin Marie Pasteur (!) in Batik und auf Chintz (mein Gott), der im grünen Jaguar aus Neuchatel auftauchende teuflische nächste Violinlehrer David Lévy oder schließlich der finstere "Maghrebiner", ein Psychiater - sie ranken sich um das Schicksal von Martijns genialer Tochter Lea nur wie der schwarze Schlangenwein eines kitschigen Jugendstil-Gemäldes.Denn diese viel zu fette "Novelle" müsste "Martijn" heißen oder "Martijn und Adrian", um deren Scheitern es in Wahrheit geht. Beide haben Lebensentwürfe, Liebe und vor allem das Gebot der Nähe nicht erfüllt. Adrian hat über seinem viel zu erfolgreichen Beruf die Frau verloren, die Tochter wurde in ein Internat gestopft. Martijn unterwirft sich dem Genie Leas mit fataler Absolutheit, die ihn die Grenze zur Kriminalität überschreiten und in den Suff fallen lässt. Ja, Schwermut macht Wermut!