Neues Buch über den großen Reformator Luther
Darmstadt (dpa) - An Martin Luther und der von ihm entfachten Reformation wird landläufig der „Beginn der Neuzeit“ festgemacht. Die kirchliche Erneuerungsbewegung wird dabei als ausschließlich deutsche Errungenschaft dargestellt und Luther als einziger Reformator.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Protestanten 2017 zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags an diesem Geschichtsbild etwas ändern werden.
Im 19. Jahrhundert sah das evangelische Bürgertum in Deutschland im Protestantismus „eine Kraft des Fortschritts in Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur“. Der sogenannte Kulturprotestantismus, schreibt Harm Klueting in seinem neuen Buch „Luther und die Neuzeit“, habe nicht nur eine Abwertung des Katholizismus möglich gemacht, sondern auch der zunehmend weltlich orientierten Moderne eine nachhaltig protestantische Grundfärbung verliehen.
Er wolle mit seinem Buch in der Luther-Dekade 2008 bis 2017 einen Beitrag leisten, Luther von diesem Podest deutsch-protestantischer Tradition zu holen, sagt Klueting, der in Neuerer Geschichte und Evangelischer Theologie habilitierte. 2004 konvertierte er zum katholischen Glauben. Heute ist er katholischer Priester in Köln und dort auch Professor der Katholischen Theologie/Historischen Theologie (Mittlere und Neuere Kirchengeschichte) und der Neueren Geschichte. Zudem hat er im schweizerischen Freiburg eine Professur für Katholische Theologie/Mittlere und Neuere Kirchengeschichte.
Er schreibe seit Jahrzehnten über Luther. Mit dem Übertritt zum katholischen Glauben habe sich daran nichts geändert, versichert Klueting und fügt hinzu: „Ich habe Luther immer in der Kontinuität der Kirchengeschichte gesehen.“ Luthers reformatorische Entwicklung - mit dem Ablassstreit als wichtigem Katalysator - sieht er denn auch speziell in der Kontinuität der innerkatholischen Reformbewegung, die spätestens seit dem 14. Jahrhundert zu beobachten ist.
Zudem stellt der Kirchengeschichtler den europäischen Kontext her und macht deutlich, dass neben Luther und unabhängig von ihm etwa Ulrich Zwingli in Zürich aus der innerkirchlichen Reformbewegung als Reformator hervor- und über sie hinausging.
Mit Blick auf den Anspruch der Neuzeitlichkeit erinnert Klueting daran, dass „Luthers teilweise unsäglich scharfe Polemik gegen Papsttum, Täufer, Türken oder gegen Erasmus von Rotterdam“ ebenso wenig neuzeitlich anmute wie sein Aufruf zum Kampf gegen Zauberei und Hexen. „Und seine furchtbaren Attacken gegen die Juden (...) mit der Forderung, die Synagogen anzuzünden und die Häuser der Juden zu zerstören, wird, wer Neuzeit über positiv besetzte Werte definiert, nicht für neuzeitlich halten.“
Klueting zeichnet Luther als „Mann des späten Mittelalters“, der nach zwei Jahrhunderten voller Reformstreben eine evangelische Bewegung und damit einen Prozess der Entsakralisierung, der Verweltlichung „auslöste, der zur Grundströmung der Neuzeit wurde“. Martin Luther war nicht der einzige, aber der wichtigste Reformator. Und: „Nicht Luthers Rechtfertigungslehre war das epochale Ereignis, sondern ihr Widerhall.“
Zwei Neuerungen halfen ihm dabei besonders: der Druck als „Kommunikationsmedium von bis dahin unbekannter Wirkung“ und die bereits im 15. Jahrhundert fortgeschrittene Staatenbildung. Sie war ein wesentlicher Faktor, der die Reformation ermöglichte. Denn die damit einhergehende konfessionelle Abgrenzung wiederum kam dem Wunsch nach territorialer Abgrenzung entgegen.
Klueting ordnet die religiösen Entwicklungen der Frühen Neuzeit mit großen Detailkenntnissen der mittleren und neueren Kirchengeschichte ein. Ab und zu scheint ein gewisser Eifer durch, den derjenige im allgemeinen an den Tag legt, der sich gegen die Mehrheitsmeinung stellt. Das Buch liefert gleichwohl einen fruchtbaren Beitrag zur Debatte um die heutige Aussagekraft Luthers.
Harm Klueting: Luther und die Neuzeit, Primus Verlag, Darmstadt, 24,90 Euro, ISBN 978-3-89678-857-3