Nicholas Evans: Fataler Fehlgriff eines Autors
Der Schriftsteller Nicholas Evans über seinen neuen Roman und die Folgen seiner lebensbedrohlichen Pilzvergiftung.
London. Nicholas Evans hatte es geschafft: „Der Pferdeflüsterer“, ein Welt-Bestseller, spülte Geld und Ruhm in seine klammen Kassen. Drei weitere Romane legte der Brite nach, alle erfolgreich. Doch dann passierte eine Katastrophe, die Evans beinahe das Leben gekostet hätte. Lange musste er pausieren, jetzt erst ist sein fünfter Roman erschienen.
Cortinarius Speciosissimus — der botanische Name bekommt einen poetischen Klang, wenn der 61-Jährige ihn mühelos, fast amüsiert, in den Raum wirft. Beim Gespräch im Londoner Viertel Bloomsbury erscheint es unwirklich, dass der athletische Evans vor zwei Jahren hätte sterben können. Doch der hochgiftige Pilz mit dem deutschen Namen Spitzkegeliger Rauhkopf hat das Leben des Schriftstellers komplett aus der Bahn geworfen.
Evans hatte an jenem verhängnisvollen Sommertag in den schottischen Highlands Steinpilze gesammelt — dachte er. Die Familie freute sich, sein Fund wurde mit Butter und Petersilie gebraten. „Kurz darauf war klar, dass ich nicht nur mich, sondern auch meine Frau, ihren Bruder und dessen Frau vergiftet hatte.“
Bange Wochen auf der Intensivstation und zwei Jahre zermürbender Dialyse-Sitzungen folgten, um die Toxine aus dem Körper zu spülen. Seine Tochter spendete Evans eine Niere, seine Frau und Verwandten stehen noch immer schwerkrank auf der Warteliste für Spenderorgane.
Schuld, Verantwortung und Familiendynamik sind für den weltweit erfolgreichen Autor seitdem nicht mehr nur literarischer Stoff, sondern eigene schmerzhafte Realität. Darüber schreiben kann er noch nicht: Das ganze Thema ist emotional extrem komplex und der Schmerz noch roh.“
Als er kräftig genug war, am Manuskript für „Die wir am meisten lieben“ weiterzuarbeiten, „entdeckte ich die Charaktere neu. Meine eigene Krise hatte mich empfindsamer gemacht für das Leid anderer. Statt Randepisoden wegzulassen, nutzte ich sie, um mehr zu erzählen von Traumata, die das Leben verändern.“
Zwei Erzählstränge verwebt er in seinem aktuellen Roman: Der kleine Tommy wird als ungeliebtes Kind ins Internat geschickt und träumt sich in die Welt der Cowboys, um das Mobbing durch Mitschüler und Lehrer zu vergessen. Der erwachsene Tommy wird 40 Jahre später erneut mit den Dramen seiner Kindheit konfrontiert, als sein eigener Sohn als Soldat im Irak des Mordes beschuldigt wird.
Evans, der nach seinem Oxford-Studium als Journalist gearbeitet hat, ist es wichtig, Aktuelles wie den Krieg und die PR dahinter einfließen zu lassen. „Der Mythos vom Wilden Westen hat immer noch einen riesigen Einfluss auf die US-Politik“, sagt er. Mit Western kennt sich Evans aus: Er hat als Kind so ziemlich jeden gesehen.
„Sie waren entsetzlich kitschig, konstruieren aber ein Männerbild, das Gewalt romantisiert. Für die, die sich darauf einlassen — wie Tommys Soldatensohn — endet diese Faszination in der Katastrophe.“
Evans kennt die extremen Wechselfälle des Lebens. Bevor ihm mit dem „Pferdeflüsterer“ der Durchbruch gelang, hatte er jahrelang erfolglos versucht, in der Filmindustrie Fuß zu fassen. Er saß auf einem Berg Schulden, von dem ihn der Bestseller erlöste. „Viele Leser glauben seitdem, dass ich mich mit der Figur des Pferdeflüsterers identifiziere.“
Am ehesten aber habe er sich wie eines jener verstörten Tiere gefühlt. „In dem Buch geht es eigentlich nicht um Tiere, sondern um Menschen, ihre Krisen und Ängste“, sagt er. „Zu sehen, wie Therapeuten in den USA den Pferden ihre große Bürde abnehmen, hat mir klargemacht, wie sehr der tägliche Wahnsinn auch uns Menschen das Menschsein nimmt. Der Alltag knipst uns oft einfach aus.“