Peter Bialobrzeski über den Wandel der Städte
Ostfildern (dpa) - Ein Stadtbild verrät viel über die Menschen, die dort wohnen. Wenn große, über lange Zeit gewachsene Viertel binnen Wochen niedergerissen werden, um riesigen Neubauten Platz zu machen, deutet das auf einen grundsätzlichen Wandel von Lebensweise und Kultur.
In Asien ist dieser ungebremste Wandel vielerorts zu sehen, und der deutsche Fotograf Peter Bialobrzeski hat ihn zu seinem großen Thema gewählt. Eine Essenz seiner Bilderserien, die ihn zu einem der meistbeachteten Fotografen und Fotografie-Lehrer Deutschlands machen, legt er in dem Band „The raw and the cooked“ vor.
Eine Aufnahme aus der indonesischen Hauptstadt Jakarta (2007) zeigt beispielhaft ein neues, makelloses, sauberes Kaufhaus. Keine vier Meter von seinem Betonfundament entfernt steht noch ein kleines, über die Jahre gealtertes Wohnhaus. Dort wohnt offensichtlich noch eine Familie. Die Szenerie wächst aus einem Untergrund aus Steintrümmern, die vom Abriss der übrigen Häuser blieben. Im fernen Hintergrund zeichnet sich ein weiteres Hochhaus ab. Es ist klar, dass hier noch vor kurzer Zeit eine Siedlung stand, die für das Kaufhaus weichen musste. Die Nachbarschaft wurde vertrieben. Die Bewohner mussten sich einen neuen Platz und damit ein neues Leben suchen. Ob es ein besseres ist, steht dahin. Dies alles lässt sich aus dem Bild herauslesen, ohne dass nur ein Mensch zu sehen wäre.
Bialobrzeski findet solche Szenen in vielen südostasiatischen Wirtschaftsnationen. Zu seinen Stationen gehören Hanoi, Bangkok, Shanghai, Jakarta, Manila oder Kuala Lumpur. Vielerorts ist der rasante Wandel bereits abgeschlossen, dann präsentieren sich die modernen Stadtteile als sterile Ansammlungen glitzernder Fassaden.
Die auf diese Weise emporschießenden Städte aus Beton fotografiert Bialobrzeski im schwindenden Licht des Tages. Das taucht die Motive in eine eigenartige Mischung aus natürlichem und Kunstlicht. Diese besondere Palette oft pastellartiger Töne zieht sich durch das gesamte Werk und machen es unverwechselbar. Die dafür nötigen langen Belichtungszeiten lassen Menschen, wenn sie denn überhaupt zu sehen sind, vielfach nur schemenartig erkennen. Aber ihre Umwelt verrät umso mehr über ihr Schicksal.
Bialobrzeski - Jahrgang 1961, geboren in Wolfsburg - begann seine Karriere mit journalistischen Fotos, etwa für das Magazin Geo. Danach wandte er sich verstärkt eigenen Arbeiten zu. Diese lassen die Grenzen zwischen Dokumentar- und Kunstfotografie verschwimmen. Seine Bilderserie „Neontigers“ über das ungebremste, wuchernde Wachstum asiatischer Städte brachte ihm einen World Press Photo Award, eine besonders wichtige Auszeichnung. Er gehörte mehrfach auch der Jury an.
Der Fotograf lebt und arbeitet in Hamburg, wo er auch die neue Hafencity dokumentiert. Seit 2002 hat er eine Professur an der Hochschule für Künste in Bremen inne und gehört zu den einflussreichen deutschen Lehrern für Fotografie. Zu seinem Konzept gehört es, dem Betrachter seiner unverwechselbaren Bilder die Deutung dessen zu überlassen, was hier passierte. Dazu geben die Bilder aber zahlreiche Hinweise. Vollkommen zu recht und sehr treffend heißt es in dem Buch, dass Bialobrzeski mit seinen verführerischen farbigen Tableaus aus 14 Ländern einen Fortschritt zeigt, der großes Unbehagen auslöst. Zugleich stellt sich die Frage, ob auch dieses Wachstum einst wie eine Blase platzten wird - und was dann aus den sterilen Städten wird.
Peter Bialobrzeski
The raw and the cooked
Verlag Hatje Cantz
160 Seiten, 68 Euro
ISBN 978-3-7757-3192-8