Roman: Eis, Wald und eine zutiefst verwundete Vergangenheit

Gaétan Soucy schreibt eine explosive „Vergebung“.

Düsseldorf. Was der noch so junge Berliner Verlag Matthes & Seitz veröffentlicht, kann man sich fast blind besorgen. Von Korngold und Kierkegaard über Baudrillard und Bataille zum Dandy Chamfort bis zur gefährlichsten Belletristik reicht sein Erkenntnisinteresse. Gefährlich, weil wir dort Schriftstellern wie dem Kanadier Gaétan Soucy begegnen können. Und einer fast tödlichen "Vergebung".

Schon das Cover ist furchterregend, und es wird in der Handlung dann eine nicht unwichtige Rolle spielen: Eine Schnee-Eule hockt da, mit aufgeplustertem Gefieder, die Krallen in einen Fund schlagend, einen niedlichen Teddybären. Rundherum tiefer Schnee, dichter Wald. Wir befinden uns in einem Dörfchen in Kanada, wohin es den Organisten und Komponisten Louis Bapaume verschlagen hat.

Für alle, den Leser eingeschlossen, bleibt es lange Zeit ein Geheimnis, was diesen so problembeladenen Mann in diese eisige Einöde treibt. Aus einem Gespräch mit einer Frau, der Tochter seines Gastgebers, erfahren wir es schließlich - doch das erklärt nichts, sondern macht alles noch komplizierter.

Jedenfalls klagt Louis sich in überbordendem, fast masochistischem Maße an, vor zwanzig Jahren hier in diesem Dorf als Musiklehrer der kleinen Julia übermäßige Hiebe der Züchtigung verabreicht zu haben. Sie findet es seltsam, dass der Lehrer nach so langer Zeit zurückkehrt, nur um sich zu entschuldigen für etwas, was sie längst vergessen hat.

Eigentlich geht es auch nicht darum. Bemerkenswert ist, mit welcher körperlichen Hässlichkeit und lebensuntüchtiger Hilflosigkeit Soucy seinen "Helden" ausstattet. Ein durch und durch geschädigter Mensch, gescheitert mit einer ihm zuvor so wichtigen Komposition, an der sogar Olivier Messiaen seinen Gefallen gefunden hätte.

Aber sein Selbsthass trägt Züge einer psychotischen Zwanghaftigkeit. In die Welt geworfen, ist Louis jederzeit bereit, sich für die nächsten Stockschläge des Schicksals demütig nieder zu knien. So wird die Welt ihm zum riesigen Labyrinth des Geistes und der Seele.

Die erlesene Übersetzung rundet schließlich den Kreis von Erwähltheit und Verworfensein, Erhabenheit und Schwäche.

Gaétan Soucy: "Die Vergebung". Roman. Aus dem kanadischen Franzosisch von Andreas Jandl und Frank Sievers, Verlag Matthes&Seitz, Berlin, geb., 142 Seiten, 16,80 Euro