Fotoband: Bilder eines Mannes, der Augen hat

Der Steidl-Verlag gibt die beiden berühmtesten Bände von Robert Frank neu heraus. Der Künstler war daran beteiligt.

Düsseldorf. Armut, die den "american dream" als Scheitern entlarvt, als Lüge und Heuchelei - dafür hatte in der Mitte des 20. Jahrhunderts kein Fotograf einen so schmerzend zielsicheren Blick wie Robert Frank. Die jetzige Neuausgabe ist eine veritable Sensation.

Fast 50 Jahre war der Band so gut wie vergriffen, und jetzt hat der Verleger gemeinsam mit dem Künstler und mit einem Vorwort des Dichters Jack Kerouac den Band neu herausgegeben. Kerouac nennt die Reisen der meisten Amerikaner "madroad driving", Wahnsinns-Fahrten. Zu Robert Frank sagt er: "Du hast Augen."

Robert Frank hatte sich für ein Stipendium der Guggenheim-Stiftung beworben und es erhalten. Über ein Jahr lang fuhr er mit seiner Familie kreuz und quer durch den riesigen Kontinent; 48 Länder soll er dabei durchquert haben. Und er fotografierte ohne Unterlass. Doch bei der Durchsicht der Filme nahm er davon nur 83 Schnappschüsse in sein Buch auf. Wie Kerouac schreibt, hat er immer nur mit einer Hand den Auslöser gedrückt.

Dass er "Augen hat", offenbaren die Bilder von Stadtvätern und einer Wahlveranstaltung, einer Beisetzung oder einer Rodeo-Szene. Da zeigt er zwei Frauen und einen Mann im Profil, alle wie klassische amerikanische Klischees, der Mann mit Cowboy-Hut und fingerdicker Zigarre, die Frauen mit Spangen im Haar und seltsam verschwommenen Blicken.

Bei einer Filmpremiere in Hollywood findet er - wiederum nur im Profil - eine Blondine mit Pelz, drapiert unter einem mächtigen Säulen-Kapitell, bemerkenswert. In einem Süßwarenladen lungern, fast schlafend, Halbwüchsige herum und schlecht gekleidete Frauen.

In South Carolina entdeckt er eine schwarze Nanny mit einem schneeweißen Baby auf dem Arm. Überhaupt ist sein Umgang mit den Rassen für die Weißen wenig schmeichelhaft, wie die grandiose Aufnahme eines Busses aus New Orleans zeigt. Vorn am Fenster sitzt der Weiße, dahinter seine Frau und zwei Kinder. Erst dann folgt ein Schwarzer, dahinter seine Frau.

Auto-Interieurs, Motorräder, Food-Stores, Stadtpark-Szenen, das alles mit deprimierten, erschöpften, verbitterten und verarmten Menschen - dieses Amerika hat niemand sehen wollen, zumal Frank jede Farbe verbannt und ausschließlich grobkörniges Schwarzweiß³ filmt. Nicht anders verfuhr er wenig später mit Paris: Noch vom Krieg gezeichnete Alte, Frauen, Kinder in schäbigen Kleidern auf schmutzigen Straßen im diffusen Dämmerlicht.

Selbst der Weg zur l’Arc de Triomphe ist in schmieriges Grau gehüllt. Und auf einem windschiefen Wagen mitten im vermatschten Gelände steht: "Mur de la Mort", Mauer des Todes. Und dennoch: Paris wäre nicht Paris, wenn es nicht selbst hier noch seine pittoresken Züge besäße.

Robert Frank: "Die Amerikaner". Hrsg. von Robert Frank, Gerhard Steidl, Claas Möller, Vorwort von Jack Kerouac, 180 S. mit 83 Tritone-Tafeln

Robert Frank: "Paris". Hrsg. von Robert Frank und Ute Eskildsen. Leineneinband mit Schutzumschlag, beide Steidl Verlag, Göttingen, jeweils 30 Euro