Schöne Tinte – aber sie stinkt!
Der Schriftsteller Günter Grass zeichnet auch seine Buchcover selber. Mit einem besonderen Saft: dem der Tintenfische.
Hamburg. Portugal im Sommer, Atlantikküste. Günter Grass gleitet in Badehose mit Maske ins Wasser, taucht ab. Beharrlich verfolgt er einen Tintenfisch, zupft ihn an seinen Armen, ärgert ihn, bis dieser wie auf der Flucht vor Feinden Tinte absondert. Blitzschnell saugt Grass, wie er weiter erzählt, mit einem Spezialgerät die dunkle Flüssigkeit auf und schwimmt zurück an Land. Später wird der Künstler mit der selbst "gemolkenen" Tinte zeichnen, so wie 1990 für den Band "Totes Holz" über sterbende Wälder oder 1988 Kalkutta-Blätter über Indien-Erfahrungen.
Dass Grass seit Jahrzehnten Naturtinte aus Tintenfischen selber gewinnt ist wahr, die Unterwasserjagd samt "Melken" aber natürlich frei erfunden. "Es gab Leute, die glaubten das", lacht der für seine Fabulierlust berühmte Nobelpreisträger ("Die Blechtrommel"), der diese Geschichte besonders seinen Enkeln gern erzählt und den einen oder anderen damit nasführt.
Seine Bücher illustriert der inzwischen 81-jährige Autor und bildende Künstler selbst. Spielt beim Tintenmachen des Kaschuben, der in einfachen Verhältnissen in Danzig-Langfuhr aufwuchs, vielleicht der Aspekt Sparsamkeit eine Rolle? "Nein, nein, ich wollte nur eine Naturtinte haben", sagt Grass und verweist auf ihre Vorzüge.
Angefangen hat Grass als "Tintenmacher" bereits in den 1960er Jahren im Urlaub in der Bretagne. Damals kochte er viel Tintenfisch und bemerkte nebenbei, dass die Tintenfisch-Flüssigkeit einen besonders schönen Sepia-Naturton hergibt. "Seitdem mache ich mir solche Tinte regelmäßig, wenn ich sie brauche, in Portugal." Dort besitzt der Schriftsteller seit vielen Jahren ein Ferienhaus.
Grass kauft sich dann einen Tintenfisch. Die Herstellung ist ziemlich simpel. Zuerst wird der Tintenbeutel des Tieres aufgeschnitten, dann gießt der Autor ein bisschen Wasser in den Beutel, damit sich der dicke Sud etwas verdünnt. Löffelweise wird die schwarzbräunliche Flüssigkeit in ein Glas gefüllt.
Sehr viele Zeichnungen hat Grass damit gefertigt, gleichwohl gibt es ein Problem: "Es kann auch wahnsinnig stinken." Und auch die Zeichnungen riechen lange Zeit noch nach, selbst wenn sie schon längst trocken sind. Vor allem bei feuchtem Wetter behalten die Kunstwerke "einen ziemlich intensiven Fischgeruch", berichtet Grass.
Ist die Naturfarbe beständig? "Einen Tintenfisch-Fleck bekommt man nicht mehr aus dem Hemd", sagt Grass trocken. Den Künstler reizt neben dem besonderen schwarzbräunlichen Sepia-Ton eine Eigenart der Tinte: "Sie fällt so etwas grisselig aus, sie ist nicht so gleichmäßig wie eine chemisch hergestellte Tinte."
Per Handgepäck ins Flugzeug darf die Tinte wie andere Flüssigkeiten schon lange nicht mehr. Die Sicherheitsbestimmungen sind nach den Terroranschlägen 2001 verschärft worden. Jetzt achtet Grass darauf, dass die Tinte im Koffer gut verpackt ist, "damit nichts ausläuft, denn sonst wäre die Wäsche hinüber".
In die Literatur ist das Motiv der Tintenfischtinte bereits eingeflossen, in dem Buch "Witwe für ein Jahr" (1998). "John Irving hatte mich dazu gefragt, weil er das in einem Roman verwenden wollte", erinnert sich Grass. Mittlerweile gibt es getrocknete Tintenfischtinte in kleinen Beuteln, hergestellt von Spezialanbietern aus Frankreich. Doch Grass will seine Tinte weiter selbst machen.