Trauer um den großen Autor Peter Esterhazy

Budapest (dpa) - „​Krebs, das ist das gute Anfangswort, obgleich es nicht sofort erklang, nicht geschwind, denn ich würde nicht meinen, dass die Ärzte das Wort vermieden haben.“

Foto: dpa

So beginnt das vor Kurzem erst erschienene Tagebuch, mit dem sich einer der größten ungarische Romanciers der Gegenwart von seinem Publikum verabschiedet hat. Am Donnerstag ist Esterhazy im Alter von 66 Jahren in Budapest gestorben.

In dem Tagebuch unter dem Titel „Hasnyalmirigynaplo“ („Bauchspeicheldrüsentagebuch“), das sich jetzt umso erschütternder liest, spricht Esterhazy über seine tödliche Krankheit. Er bekennt, wie schwer es ist, darüber zu schreiben, macht sich aber auch darüber lustig, personifiziert die kranke Bauchspeicheldrüse zu einer erotisch aufgeladenen Fee. Bei allem Ernst kommt dies so elegant und tänzerisch daher wie Esterhazys gesamte Prosa. Ein erstes Buch aus Anlass seiner Krankheit unter dem Titel „A bünos“ („Der Schuldige“, Magvetö-Verlag Budapest) war schon im vergangenen Herbst erschienen.

Zu seinem Bauchspeicheldrüsenkrebs - eine der tückischsten Formen dieser Krankheit - hatte sich der Autor im vergangenen Herbst öffentlich bekannt - allerdings in einem krassen Understatement: Der Bauchspeicheldrüsenkrebs sei nun in sein Leben getreten, sagte er in einem Nebensatz in einer Rede zur Göteborger Buchmesse, die dort verlesen wurde, weil Esterhazy wegen seiner Krankheit nicht selbst kommen konnte.

Sein berühmtester Satz steht am Anfang seines großen Romans „Harmonia Caelestis“, der ihm 2004 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels einbrachte: „Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.“ Dies ist mehr als nur ein logisches Statement, es ist seine Poetik. Esterhazys Geschichten sind wahr, gerade weil sie erfunden wurden.

Seine Themen sind die Geschichte Mitteleuropas, die damit verwobene Historie seiner jahrhundertealten Adelsfamilie Esterhazy sowie literarische Werke anderer Autoren. Esterhazy dekonstruiert, rekonstruiert, spielt mit Zitaten — diese Bausteine fallen sich gegenseitig ins Wort, wie ein deutscher Kritiker einmal schrieb.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte war Esterhazy geradezu in die Wiege gelegt. Geboren am 14. April 1950 im damals tief stalinistischen Ungarn, erlebte er mit seinen Eltern die Verbannung in ein Dorf. Die adligen Esterhazys galten als Klassenfeinde. Dass seiner Familie Besitz und Macht abhandenkamen, bezeichnete Esterhazy oft als Glücksfall, weil ihm dies die Rebellion gegen die Vorfahren erspart habe. Zu ihnen gehörten Fürsten, Kulturmäzene (Joseph Haydn und Franz Liszt waren Hauskomponisten der Esterhazys), hohe Geistliche, Politiker — darunter auch ein Ministerpräsident. Ihnen setzte Esterhazy in „Harmonia Caelestis“ ein ironisches Denkmal.

Zentral in diesem Roman ist die Vaterfigur, wobei sich der biologische Erzeuger in viele historische Väter aufsplittert und mit ihnen vereinigt. Allesamt heißen sie „Meinvater“. Just zu diesem Thema hielt das reale Leben eine traurige Ironie für den Autor bereit: Kurz nach Veröffentlichung von „Harmonia Caelestis“ fand Esterhazy heraus, dass sein damals schon verstorbener Vater Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes war. Er verarbeitete dies in dem Band „Verbesserte Ausgabe“.

Die Familie taucht als Motiv schon in Esterhazys Debütwerk „Fancsiko und Pinta“ auf, das er 1976 kurz nach seinem Mathematikstudium veröffentlichte. Esterhazy sei damit „in die im Frost des sozialistischen Realismus erstarrte ungarische Literatur eingebrochen wie der Frühlingswind“, schrieb der ungarische Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertesz dazu.

Das Mathemathikstudium ließ jüngst grüßen, als Esterhazy aus dem Krankenhaus eine Formel aus der Mengenlehre an die Öffentlichkeit schickte - als ironische Entschuldigung dafür, dass er an einer literarischen Veranstaltung in Budapest nicht teilnehmen konnte.

Von Esterhazys mehr als 30 Büchern sind über 20 auch in deutscher Übersetzung erschienen. Er ist damit im deutschen Sprachraum der bisher meistgedruckte ungarische Autor. Er begeisterte unter anderem auch mit „Deutschland im Strafraum“, das 2009 zum „Fußballbuch des Jahres“ gekürt wurde. Der Autor selbst hat jahrelang in einem Verein Fußball gespielt, sein Bruder Marton war sogar Kicker der ungarischen Nationalelf.

„Irgendwo muss ich schließen, und natürlich weiter schreiben. Dies wäre ein guter letzter Satz, um das Immerwährende ins Ewige zu korrigieren.“ So lautet Esterhazys letzter Satz im Krankheits-Tagebuch. Das ist Esterhazy, wie er immer war. Es hat Spaß gemacht zu rätseln, ob er selbst spricht, ob er über sich selbst spricht oder - am wahrscheinlichsten - beides zugleich.