Umberto Ecos Mediensatire „Nullnummer“

Berlin (dpa) — Woher wissen die Menschen, was wahr ist? Immer mehr Informationen sind verfügbar, aber häufig ist schwer zu bestimmen, ob sie vollständig und wahrhaftig sind. Vielleicht fehlen ja Bestandteile, die ein ganz anderes Licht auf die Tatsachen werfen und so ganz andere Konsequenzen nach sich ziehen würden.

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Mit diesem Thema beschäftigt sich der italienische Geisteswissenschaftler und Schriftsteller Umberto Eco (83) in einem für ihn typischen, sowohl spannenden als auch intellektuell anspruchsvollen Roman, der allerdings ungewohnt kurz ausgefallen ist.

„Nullnummer“ führt nach Mailand in das Jahr 1992. Hauptfigur ist der Übersetzer Colonna, der auch als Erzähler der Geschehnisse auftritt. Nachdem er mit anderen beruflichen Ambitionen gescheitert ist, hat er einen ungewöhnlichen Posten angenommen. Er lässt sich von einem Geldgeber, der nie persönlich in Erscheinung tritt, als Autor anheuern, um ein Buch über den Aufbau einer neuen Tageszeitung zu schreiben. Nur er und der Chefredakteur wissen von dieser Aufgabe.

Offiziell ist er Mitglied der aus sechs Journalisten bestehenden Redaktion, die erst einmal ein paar Nullnummern der Zeitung „Domani“ („Morgen“) produzieren soll, Testexemplare, die nie veröffentlicht werden sollen. Nur Colonna und der Chefredakteur wissen, dass tatsächlich nie eine Zeitung erscheinen soll. Die Journalisten sollen mit ihrer Arbeit lediglich dem Geldgeber, einem Unternehmer, der an einen späteren italienischen Politiker denken lässt, den Weg ins Establishment ebnen.

Mit viel Engagement gehen die Journalisten, alle zuvor in ihren Ambitionen gescheitert, an die Aufgabe, eine Zeitung zu produzieren, die in erster Linie darauf abzielt, die Leser zu unterhalten und nicht zu beunruhigen. Pointiert zeigt Eco wiederholt, wie in Redaktionskonferenzen das Engagement der Journalisten zunichtegemacht wird, weil ihre Recherchen den Interessen des Geldgebers entgegenstehen könnten.

Wie absurd die von allen als glaubhaft angesehene Szenerie tatsächlich ist, zeigt sich, als die Realität durch das Attentat auf einen Mafiaermittler auch in die Redaktion unübersehbar eindringt. Dieses Thema, ein zentrales Problem Italiens in jener Zeit, wird vom Chef sofort abgelehnt: „Mit einem Schlag machen wir uns die Polizei, die Carabinieri und die Cosa Nostra zu Feinden. Ich weiß nicht, ob das dem Commendatore gefallen kann.“

Eco wäre nicht Eco, hätte sein Buch nur ein Thema. Also ergänzt er die vergebliche Suche nach der journalistischen Wahrheit durch eine komplexe Verschwörungstheorie. Einer der Journalisten argwöhnt, dass Ex-Diktator Mussolini den Zweiten Weltkrieg überlebt haben könnte. Colonna steht den ausführlichen, überbordenden Erzählungen seines Kollegen skeptisch gegenüber. Aber als ein Mord geschieht, entdeckt sogar Colonna paranoide Züge an sich selbst.

Auch Colonna, der von allen Figuren noch am besten informiert ist, kann sich auf keine Information verlassen. Schon gar nicht, als ihm ein Kollege auf den Kopf zusagt, „dass Zeitungen nicht dazu da sind, Nachrichten zu verbreiten, sondern sie zu verbergen“.

In einem solchen Dilemma kann Eco natürlich keine Lösung aufzeigen. Das Misstrauen gegenüber jeglicher vermeintlichen Wahrheit bleibt als einzige Konstante erhalten. Der Autor hatte sichtlich Spaß daran, seine Leser mit Informationen und deren Variationen so zu überfrachten, dass allenfalls Experten sich noch ein eigenes Urteil erlauben können. Eco demonstriert das Thema seines Romans eindringlich. Künstlerische Aspekte wie die Zeichnung überzeugender Charaktere halten mit dieser intellektuellen Leistung allerdings nicht so ganz mit.

Umberto Eco: Nullnummer. Hanser Verlag, München, 231 Seiten, 21,90 Euro, ISBN 978-3-446-24939-4